Kommentar Eurorettung: Der Bundestag auf Speed
Die Behebung der Ursachen der Eurokrise ist zu weit weg vom politisch Möglichen. Greifen die aktuellen Maßnahmen nicht, droht aber sowieso eine Vermögensabgabe.
D er Film läuft immer schneller ab, die Akteure der Eurorettung rennen immer hektischer über die Leinwand. So präsentiert sich das Bild dieser Tage, kurz vor dem Euro-Notgipfel: Irgendwie sollen die Banken zu 100 Milliarden Euro mehr Kapital kommen, Griechenlands Schulden werden halbiert, das entspricht einem halben Staatsbankrott (welche Länder folgen da noch?). Und beim Rettungsschirm wird in den Billionenbereich gehebelt. Der Bundestag soll flugs noch ein zweites Mal zustimmen.
Für die Bundesregierung und ihre EU-Mitstreiter ist die aktuelle Krisenbewältigung, dazu gehört auch der Schuldenschnitt, unvermeidbar. Aber sie entkommen der Eigendynamik des Dramas nicht mehr. So ging es häufig bei historischen Krisen, die Behebung der eigentlichen Ursachen ist zu weit weg vom politisch Möglichen. Bis es zu spät ist.
Im Fall der aktuellen Finanz-, Euro- und Staatsschuldenkrise handelt es sich um eine zunehmend ungleiche Verteilung von Vermögen und Schulden. Die Rohstofflieferanten, die Besitzer großer Vermögen, die Finanzindustrie und auch Teile der Bevölkerung in den reichen Ländern haben so viel Kapital angehäuft und erwarten eine entsprechende Verzinsung, dass die Schuldner nicht mehr zahlen können.
Nun redet aus der aktuellen Not jeder von Schuldenschnitt. Warum nicht auch vom Kapitalschnitt? Hierfür müssten die Staaten Vermögen ab einer gewissen Grenze einziehen, um wieder handlungsfähig zu werden. Sonst übernehmen sie einfach die zu großen Schuldenlasten, die die Gesellschaften schon bisher nicht mehr tragen konnten. Das kann nicht funktionieren. Die Last der Kapitalzinsen muss deutlich verringert und nicht verschoben werden.
Leider ist die Möglichkeit einer Vermögensabgabe derzeit politisch völlig utopisch. In keiner westlichen Demokratie wird das von einer Regierungspartei vorangetrieben. Wenn die aktuellen Maßnahmen zur Eurorettung nicht greifen und wir eine wilde Mischung aus Staatsbankrotten, Bankenpleiten und Absetzbewegungen aus dem Euro erleben müssen, dann wird auch viel Vermögen vernichtet.
Also praktisch auch eine Vermögensabgabe. Aber eine, die alle trifft. Ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Bedarf, auf die Rente, auf Job oder Häuschen. Die Reichen kommen durch so etwas immer besser durch als der Rest. Und der Bundestag ist abgemeldet.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Gerichtsentscheidung zu Birkenstock
Streit um die Sandale