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Kommentar Erbtest für EmbryosMoralkeule gegen Mündigkeit

Heike Haarhoff
Kommentar von Heike Haarhoff

Der neue Erbguttest ist ein weiterer Baustein in einer zunehmend personalisierten Medizin. Diese Diagnostik kann ein aufgeklärter Staat seinen Bürgern nicht vorenthalten.

J eder Schwangeren über 35 wird hierzulande ein Angebot gemacht: Sie darf das Baby im Bauch untersuchen lassen. Es wird geschallt, die Nackenfalte gemessen, die Fruchtblase punktiert. Wenn sich herausstellt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Behinderung hoch ist, darf die Schwangerschaft beendet werden, notfalls bis kurz vor der Geburt. Das ist gesellschaftlich weitgehend akzeptiert.

Jetzt kommt ein neuer Test auf den Markt; einer, der das Erbgut des Embryos über das Blut der Mutter analysiert und damit vergleichsweise schonend funktioniert. Doch statt den Test anzuerkennen als das, was er ist: weiterer Baustein in einer zunehmend personalisierten Medizin, eine Diagnostik, die ein aufgeklärter Staat seinen mündigen Bürgern nicht dauerhaft vorenthalten dürfen wird, weil diese ein Recht auf Wissen haben, um eigene Entscheidungen treffen zu können, greifen Kirchen, Verbände und einige Politiker zur Moralkeule: Der Test trage zur weiteren Diskriminierung behinderter Menschen bei.

Der ethische Anspruch, der hier mitschwingt, spiegelt sich leider in unserer Willkommenskultur für Behinderte im Alltag nicht wider. Wer je einem Kind, etwa mit Down-Syndrom, ein Leben ohne Ausgrenzung ermöglichen wollte und dann die Bittstellerei bei Ämtern, Krankenkassen, und ja: häufig auch ausgerechnet bei konfessionellen Kindergärten und Schulen erleben durfte, der fragt sich, wieso ebenjene Institutionen jetzt nicht einfach schweigen.

Bild: Wolfgang Borrs
Heike Haarhoff

ist Redakteurin im Inlandsressort der taz.

Wer erfahren hat, dass Familien mit behinderten Kindern ein doppelt so hohes Armutsrisiko haben, der möchte nicht bevormundet werden in seiner Entscheidung für oder gegen eine Untersuchung des Embryos. Wer sich je für oder gegen die Fortsetzung einer Schwangerschaft entscheiden musste, weiß, dass nur Zyniker behaupten, dies sei ein leichtfertiger Entschluss.

Der Bluttest ist der falsche Adressat für die Empörung: Die Gesellschaft diskriminiert nicht im Bauch, sondern draußen, im richtigen Leben.

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Heike Haarhoff
Redakteurin im Inlands- und im Rechercheressort
Heike Haarhoff beschäftigt sich mit Gesundheitspolitik und Medizinthemen. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Kinderheim bei Paris ab 1989 Studium der Journalistik und Politikwissenschaften an den Universitäten Dortmund und Marseille, Volontariat beim Hellweger Anzeiger in Unna. Praktika bei dpa, AFP, Westfälische Rundschau, Neue Rhein Zeitung, Lyon Figaro, Radio Monte Carlo, Midi Libre. Bei der taz ab 1995 Redakteurin für Stadtentwicklung in Hamburg, 1998 Landeskorrespondentin für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und von 1999 bis 2010 politische Reporterin. Rechercheaufenthalte in Chile (IJP) und den USA (John McCloy Fellowship), als Stipendiatin der Fazit-Stiftung neun Monate Schülerin der Fondation Journalistes en Europe (Paris). Ausgezeichnet mit dem Journalistenpreis der Bundesarchitektenkammer (2001), dem Frans-Vink-Preis für Journalismus in Europa (2002) und dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse (2013). Derzeit Teilnehmerin am Journalistenkolleg "Tauchgänge in die Wissenschaft" der Robert Bosch Stiftung und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
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9 Kommentare

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  • WB
    Wolfgang Banse

    ZU dem obigen Artikel hatte ich heute Morgen am 11.Juli 2012 einen Kommentar verfasst!

  • WB
    Wolfgang Banse

    Behindert wird man durch die Gesellschaft

    Im Mutterleib ist das entstandene Leben was Diskriminierung,Zynismus,Stigmatisierung anbetrifft geschützt.

    Mit dem Ausscheiden aus der Gebärmutter wiord das geschützte Leben in eine Welt gesetzt,die Menschen mit einem Handicap nicht gerade positiv gegenüber steht.Von einer Kosten/Nutzen Analyse wird zunehmend gesprochen.Im Gegnsatz zu den skandinanvischen und süddeutschen Ländern ist der Standort Deutschland was gehandicapte Menwschen betrifft ein behindertenfeindlicher Staat.Die Disjussion was die Inklusion und die Umsetzung der ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention belegt dies ganz deutlich.

    Eine Mitarbeiterin des Jobcenters Friedrichshain-Kreuzberg Dreistadt zeigt durch ihren Verhaltzenskodex welches sie an den Tag legt was Stigmatisierung,Diskriminierung und Apartheid gegenüber einen ihr zugewiesenen Klienten betrifft.

    Kosten für ein Ticket wurden nicht beglichen,Öffentlich zur Verfügung stehende Gelder um Menschen in Arbeit zu bringen,wurden und werden von der Person Dreistadt des Jobcenters Friedrichshain-Kreuzberg verweigert.Durch ihr Verhalten wird sie zur Diktatorin in einem Rechtsstaat,wie es die Bundesrepublik-Deutschland ist.Armut wird von ihr durch Maßnahmen zur Arbeitsaufnahme nicht entgegen gewirkt,sondern durch ihr autoritäres,diktatorisches monarchisches Verhalten gefördert,zum Leidwesen der ihr zugewiesenen Klientel.

    Wieviel Narrenfreiheit wird eigentlich dieser Person Dreistadt beibemessen?!

    Die UN-Behindertenrechtskonvention ist bis zum heutigen Tag beim Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg nicht umgesetzt,da man nicht von Seiten der Geschäftsführung,wo auch der stellvertretende Geschäftsführer in der 8 Etage Henke tätig ist

    Dem Jobcenter Friedrichhain-Kreuzberg kann nicht bescheinigt werden und mit einem Signifikat bestätigt werden, ein behindertenfreundliches Jobcenter zu sein.

    Solange es Menschen in der Bundesrepublikanischen Repubik wie eine Person Dreistadt und Henkle gibt diem darüber befinden,wer es wert ist und nicht wert ist gefördert zu werden und Aussagen wie diese an den Tag gelegt werden:"Für Sie kommt nur ein 1 Euro JOb was MAE betrifft in Betracht"

    und so zum Herrenmenschen werden und sich aufspielen,im Bezug was gehandicapte Menschen anbetrifft,wird es nicht zur Normalität werden,dass Menscehn mit einem Handicap als gleichberechtigte und vollwertige Menschen anerkannt werden-

    Quo vadis Deutschland was die Personen Dreistadt und Henke anbetrifft.

  • M
    Megestos

    Sehr guter Artikel, danke!

  • T
    Tomate

    Find ich gut: für eine Welt ohne lebensunwertes Leben! [/sarkasmus-Ende]

  • P
    Pitchblack

    Nach meiner sprachlosen Wut über das Gutachten zum Bluttest (taz: Blutuntersuchung auf Downsyndrom - Gutachter hält Test für illegal) war dieser Kommentar für mich eine Ersatzstimme. Danke!

  • FL
    Fritjof Light

    Mehr solche Artikel!

  • A
    Anna

    Liebe Frau Haarhoff,

     

    wunderbarer Kommentar.

    Genau so ist es.

    Danke für Ihre Worte!

    Bin selbst behindert und kämpfe seit Jahren gegen die Heuchelei von Staat und Kirche.

  • DM
    Dirk Müller

    Sehr geehrte Frau Haarhoff.

    Danke für Ihre klaren + vernünftigen Worte zur Hysterie der diversen Lobbys + notorischen Gutmenschen, solange es nur Gratismut ist.

    Eltern haben das Recht, zu entscheiden, ob sie die jahrzenntelange Dauerbelastung auf sich nehmen können, ein behindertes Kind in unserer wenig kinderfreundlichen Gesellschaft aufzuziehen. Es ist ihre Entscheidung, und kein christlicher oder sonstiger Moralapostel darf es verbieten.

    Bitte schreiben Sie weiter.

    Dirk Müller

  • S
    Sascha

    Der Kommentar ist zu kurz gedacht. Die Kritik gegen den Bluttest entspringt nicht moralischer Empörung sondern der Tatsache, dass er zum einen medizinisch nicht notwendig ist (im Gegensatz zu sog. Risikoschwangerschaften ab 35, bei denen eine gesundheitliche Gefährdung des Kindes deutlich erhöht ist), aber nach Umfragen Kinder mit Handycap abgetrieben werden würden, wenn dies möglich sei. Der Test ermöglicht eben genau das.

    Richtig ist, dass die Umstände eines barrierefreien und würdigen Lebens mit Handycap gesellschaftlich keineswegs erreicht sind und gesellschaftlich Menschen mit Handycap oft ausgegrenzt werden. Richtig ist aber auch, dass dieser Test Folge dieser gesellschaftlichen Ausgrenzung ist und der Protest dagegen auch ein Protest für die gesellschaftliche Akzeptanz von Menschen mit Behinderungen ist. Insofern ist der Vorwurf der Moralkeule unsinnig und widerspricht der Argumentation des Kommentars.

    Allerdings von Medizin im Zusammenhang mit dem Test zu sprechen, halte ich für völlig falsch: Medizin beschäftigt sich mit Heilungsprozessen, nicht jedoch mit der Handreiche zur Tötung. Als Vater eines Kindes mit Down Syndrom bin ich nachhaltig schockiert, wie fahrlässig und herablassend über Kinder mit DS geurteilt wird - als sei es gut und richtig, in einer unzureichenden Umgebung diese Kinder erst gar nicht zur Welt zu bringen. Das ist in der Tat menschenverachtend.