Kommentar Entlassung Röttgen: Macheten-Mutti
Norbert Röttgen war Umweltminister der Republik und nicht der CDU. Angela Merkel missbraucht mit der Entlassung ein Regierungsamt für eine Parteisache.
A ngela Merkel begeht bei Norbert Röttgens Entlassung zwei schwere Pflichtverletzungen. Erstens: Sie schmeißt einen Minister raus, ohne eine Begründung zu geben. In ihrem anderthalbminütigen Eiszapfen-Statement kommen NRW und Landtagswahl nicht vor, sie erwähnt die Energiewende und dass Röttgen sie mit angeschoben habe. So what?
Besinnungslos bis beflissen stürzt sich die politische cloud auf Mutmaßungen, Naheliegendes, Durchstechereien und schiere Gerüchte. Die Kanzlerin feuert einen Minister, das Nähere regelt die Gosse. Zweitens: Die Kanzlerin feuert einen Minister, wo die CDU-Vorsitzende einen gescheiterten Landtagskandidaten abzuwickeln hat.
Röttgen war Umweltminister der Republik, nicht der CDU. Die Ämter der Bundesregierung sind nicht die Lohntüten für Parteisoldaten. Merkel missbraucht ein Regierungsamt für eine Parteisache. Röttgen nahm seine Ironie, die CDU entscheide „bedauerlicherweise“ nicht direkt über Vergabe von politischen Ämtern, sofort zurück.
Loser vom Dienst
Was ihm nichts mehr half, er hatte da schon das Rudolf-Scharping-Berti-Vogts-Gedächtnis-Zettelchen auf die Stirn gepappt bekommen: Loser vom Dienst. Umgekehrt Merkel: sie entscheidet als CDU-Chefin und aus Unionsräson über Staatsämter. Und bedauert dabei mal gar nichts, völlig ironiefrei. Merkel wird als Macheten-Mutti rezipiert. Dabei ist es Missbrauch von Verfassungsgut.
Friedrich Küppersbusch ist Journalist und Fernsehproduzent.
Röttgen hätte hinschmeißen können, als Merkel den rot-grünen Atomausstieg stiefmütterlich verschleppte. Röttgen hätte zurücktreten müssen, als Merkel die Laufzeiten unter allerhand Lobbydruck verlängerte. Doch ihr vermeintlich Klügster erwies sich als ihr Geschmeidigster und notierte flugs, ein Atomausstieg sei nur europaweit zu machen, habe für Deutschland allein keinen Sinn.
Dann, ein Fukushima später, machte Merkel den Atomausstieg allein, und Röttgens Meinungsslalom war blamiert – Rücktrittsgelegenheit Nummer drei. Ein anderer Norbert – Kohls niedlichster, also Blüm – war 12 Jahre Landesvorsitzender der CDU in NRW. Mit ihm verlor die CDU nicht eine, sondern alle Wahlen in NRW.
Brutalsmöglichstes Machtkalkül
Man muss Blüm und sein politisches Werk nicht schätzen, um doch zuzugeben: Es gibt offenkundig keine Zwang, Wahlverlierer aus Düsseldorf aus dem Bundeskabinett zu schmeißen. Blüm wurde der einzige Minister, der die ganze Amtszeit Kohls überstand.
Merkel verlangt selbstentblößenden Opportunismus, und wo sie ihn bekommt, honoriert sie ihn mit Kälte und brutalstmöglichem Machtkalkül. Die Kanzlerin bleibt uns eine Begründung für Röttgens Entlassung schuldig, und die CDU – Vorsitzende eine Entschuldigung für den Missbrauch von Staatsämtern.
In Merkels Universum überleben Anpasser mit begrenzter Laufzeit. Das ist eine Auswahl der Schlechtesten. Hört auf, „Mutti“ zu verklären. Sie schadet der Demokratie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren