Kommentar Ehec, Gemüse und Ökos: Das apokalyptische Gefühl
Sag mir, wie du dich ernährst, und ich sage dir, was für ein Mensch du bist. Und plötzlich sitzt der Feind im bislang ach so gesunden Gemüsebeet. Was jetzt?
N eulich am Autoradio: Die Meldung, unsere armen Landwirte litten so sehr unter einer Ehekrise, ließ mich aufhorchen. Bauer sucht Frau, klar. Mit halben Ohr nur hatte ich zugehört, zu sehr auf die Straße konzentriert.
Nicht von Beziehungen, nicht von der Ehe – sondern von der Ehec-Krise war die Rede. Ich musste lachen. Dabei ging mein Fehlhören gar nicht so sehr am Problem vorbei: Denn unsere Ernährungsgewohnheiten haben einiges mit einem Bund fürs Leben zu tun. Desto mehr, je weiter sie von der realen Lebensnot entfernt sind.
Es geht in unseren Breiten für die Mehrzahl der Bevölkerung ja nicht darum, den Hunger zu stillen. Ernährung ist bei uns Teil eines groß angelegten Gesundheits-, Wohlfühl- und Fitness, ja eines Identitätsprogramms. Sag mir, wie du dich ernährst, und ich sage dir, was für ein Mensch du bist.
Vegetarier aller Länder überkommen von jeher Gruselgefühle bei der Vorstellung, sich Tierisches einzuverleiben, gentechnisch manipulierte Nahrungsmittel haben auch nicht zur Hysterie Neigende hochgradig sensibilisiert und die wechselnden Lebensmittelskandale von Gammmelfleisch bis BSE noch den letzten schlafenden Hund vor dem Fleischtresen im Supermarkt nachhaltig geweckt. Was bleibt übrig? Was kann man überhaupt noch essen?
Eine kleine Umfrage in meinem überwiegend ökologische orientierten Freundeskreis brachte ein eindeutiges Ergebnis: Gemüse! Das war vergangene Weihnachten. Und nun? Wenn der Feind mitten im Gemüsebeet sitzt, was bleibt dann an Gewissheit über die richtige Ernährung? Wird nicht letztlich das ganze Leben dadurch infrage gestellt?
Unsicherheit, Angst und Hilflosigkeit
Mit jeder neuen Meldung, die uns erreicht – letzter, vielleicht schon wieder überholter Stand: Es war die deutsche Sprosse, nicht die spanische Gurke – wachsen Unsicherheit, Angst und Hilflosigkeit. Vergiftungsängste sind das Signum der neuen Ess-Klasse.
Sie spiegeln die Ohnmachtsspirale, die sich gerade in der vermeintlich perfekten Naturbeherrschung zeigt: An den man-made desasters Typ Fukushima hat sich endgültig das Bewusstsein gebildet, dass jeder Fortschritt neue Bedrohungen produziert und – psychologisch entscheidend – unser ganzes akkumuliertes Wissen uns nicht hinreichend vor ihnen schützen kann. Die vermeintlich menschlich bemeisterte Natur schlägt heimtückisch zurück.
Auch die Ehec-Krise verweist auf das immer komplizierter werdende Zusammenspiel von Natur und menschlichem Eingriff. Nur diesmal nicht im fernen Japan. Vor unserer Haustür, mitten in unserer behördlich beaufsichtigten Landwirtschaft, schlummert der Tod. Und das, wenn sich der aktuelle Verdacht bestätigt, ausgerechnet auf einem Biohof?
Was nützt die ganze Ökologie?
Was nützt dann, so die bange Frage vieler Bewussternährer, die ganze Ökologie? Mit der Angst vor Intoxikation wächst ein apokalyptisches Gefühl. Vergiftungsfantasien reichen deshalb so tief, weil sie an unseren psychologischen Urgrund rühren: Was wir uns durch den Mund einverleiben, muss einfach gut sein, das haben wir mit der Muttermilch aufgesogen. Es ist die Basis unseres Sicherheitsgefühls.
Wie tiefgreifend diese Sorge unser Leben bestimmt, hat kaum ein anderes Ereignis klarer gezeigt als die Mutter aller postmodernen Katastrophen, Tschernobyl: Plötzlich rissen sich linksorientierte Ökologen in den Supermärkten die vorher aus politischen Gründen verpönten Lebensmittel aus Südafrika und Chile aus den Händen, weil sie nicht verstrahlt waren. Apartheid und Pinochet-Diktatur spielten keine Rolle mehr, es ging um die eigene leibliche Integrität. Die Ehec-Krise hat in dem Sinne wirklich etwas von einer Beziehungskiste: Sie erinnert an psychologische Abhängigkeiten, die tiefer sitzen als politische Überzeugungen. Und sie könnte ein Anlass sein, darüber nachzudenken, wie diese Erkenntnis ohne falsche Hysterie im Feld der Politik einzuholen ist.
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