Kommentar EU-Rettungsschirm: Die Richtung stimmt
Die europäische Währungsunion ist bedroht. Was Europa jetzt braucht, ist eine starke Führung, die die Gemeinschaftswährung verteidigt.
B is zum Herbst 2009 waren die Anleihezinsen der Euroländer annähernd gleich gewesen. Dann entdeckten die Finanzakrobaten ein neues Geschäftsfeld: Spekulation auf den Bankrott der schwächsten Staaten. Als erster Ball im Doppelpassspiel diente Griechenland: Ratingagentur (RAG) 1 stuft das Land herab, Finanzalchemiebanken (FAB) wie Goldman Sachs oder Deutsche Bank übernehmen und erhöhen die CDS-Prämien. Jetzt läuft der Ball zu den Anleihehändlern: Sie erhöhen die geforderten Zinsen, das Risiko ist ja gestiegen. Rückpass zu RAG 2, sie stuft Griechenland weiter herunter.
Griechenland versuchte, diesen Prozess mit einem brutalen Sparpaket zu stoppen. Zur Belohnung stiegen die Zinsen von 12 auf 17 Prozent. Auch für Irland und Portugal wurden sie unbezahlbar (11 Prozent): Ab unter den Rettungsschirm! Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt: Auch für Spanien stiegen die Anleihezinsen deutlich, von 3,7 auf 6 Prozent. Nunmehr ist Italien ins Visier der Marktkräfte geraten (5,8 Prozent). Damit tritt der Kampf um den Euro in die entscheidende Phase. Denn die Staatsschulden von Italien und Spanien sind 5-mal so hoch wie jene der drei Problemländer.
Diese Entwicklung bedroht die Währungsunion und letztlich das gesamte europäische Projekt aus drei Gründen. Erstens wurden die Zinsen der angegriffenen Länder (diese haben reale Probleme, Spekulation findet nie "abgekoppelt" statt) auf ein Niveau getrieben, bei dem jede Sparpolitik sinnlos wird, weil sie nur mehr die Wirtschaftslage verschlechtert.
STEPHAN SCHULMEISTER, 63, ist Ökonom. Seit 1972 beim Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) in Wien tätig, lehrte er als Gastprofessor u. a. in New York. Zuletzt erschien von ihm: "Die neue Weltwirtschaftskrise - Ursachen, Folgen, Gegenstrategien" (AK 2009).
Zweitens werden die Euroländer gegeneinander ausgespielt: Je höher die Zinsen von Griechenland bis Portugal, desto niedriger für Deutschland, Holland und Österreich.
Drittens nützen nationalistisch-populistische Medien und Politiker diese Konflikte, um das Bedürfnis nach Sündenböcken zu befriedigen: An Stelle "der Türken" treten "die Pleitegriechen". Kurz: Wie am Beginn jeder schweren Krise verstärkt sich die Tendenz zu einfachen Erklärungen ("Der Schuldner ist schuld"), zu Symptomkuren (Sparpolitik), zum Bestehen auf nationalen (Zins-)Vorteilen, zur Geringschätzung der anderen/fremden Länder, zur Distanzierung, gerade auch im Geldwesen (Nord-Euro und Süd-Euro) und zur Ableitung der Sorgen und Ängste vieler Menschen auf Sündenböcke.
Lösung: Rettungsfonds wird zum "Europäischen Währungsfonds"
In dieser Lage ist europäisches "leadership" gefordert. Eine erfolgreiche Euro-Verteidigung, die gleichzeitig das europäische Projekt wieder in die Offensive führt, muss vier Anforderungen genügen: Sie muss den europäischen Zusammenhalt stärken, also das Ausspielen der Mitgliedsländer gegeneinander unterbinden. Sie darf einzelne Länder, insbesondere Deutschland, nicht schlechter stellen. Sie muss unternehmerisches Handeln (wieder) mehr honorieren als Finanzkunststücke. Sie muss eine Konsolidierung der Staatsfinanzen durch wirtschaftliche Expansion ermöglichen.
Ein konkreter Lösungsansatz sähe so aus: Der Rettungsfonds wird zum "Europäischen Währungsfonds" (EWF) ausgebaut. Dieser stellt den Euroländern Finanzmittel durch Ausgabe von Eurobonds zur Verfügung, garantiert von sämtlichen Mitgliedsländern. Der Zinssatz wird etwas unter der erwarteten (nominellen) Wachstumsrate festgelegt (derzeit auf etwa 3 Prozent).
Die Vergabe der Mittel wird klaren Richtlinien unterworfen. Bereits vor einem Jahr haben die PolitikerInnen das Fundament für den EWF gelegt: Der Rettungsschirm (EFSF) ist nämlich sehr klug konzipiert, sein Ausbau zu einem EWF daher technisch kein Problem: Schon jetzt garantieren alle Euroländer, der Zinssatz der EFSF-Anleihen liegt bei etwa 3 Prozent (kaum höher als jener deutscher Anleihen), eine Ausweitung der Garantien ist nur eine Frage des politischen Willens. Eines aber fehlt: die Setzung eines neuen Ziels, gewissermaßen die Sinnstiftung für den EWF.
Während der ESFS eine Notlösung für arme Sünder war, die der "Rettung" bedürfen, ist der EWF jene Agentur, durch welche die europäische Politik die Finanzierung unserer Staaten organisiert, statt dies dem Spiel von Finanzakrobaten zu überlassen. Dann ist auch das "Bail-out-Verbot" kein Hindernis, es wird ja nicht gerettet, sondern gestaltet. Auf dass der Primat der Politik über den Markt nicht Phrase bleibe.
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