Kommentar EU-Krise: Überforderte Neulinge
Die neuen EU-Mitglieder sind von der EU-Ratspräsidentschaft auf allen Ebenen überfordert. Am Beispiel Tschechiens zeigt sich nun, welch schwerwiegende Folgen das haben kann.
Auf einem elektronischen Band in der Eingangshalle des Brüsseler Ratsgebäudes laufen Tag und Nacht die europafeindlichen Sprüche des tschechischen Staatspräsidenten Václav Klaus. Sie sind Teil einer Installation des Prager Anarchokünstlers David Cerny, die bei der feierlichen Enthüllung im Januar für viel Ärger sorgte. Inzwischen sind sich in Brüssel fast alle einig, dass die viel diskutierte Skulptur der einzige Erfolg in der Bilanz der tschechischen Ratspräsidentschaft sein wird.
Dieses Urteil stand schon vor der aktuellen tschechischen Regierungskrise fest. Bereits 2008, unter slowenischer Führung, zeigte sich, dass die kleinen Unionsneulinge mit der EU-Ratspräsidentschaft finanziell, personell und logistisch überfordert sind. Slowenien überließ die meisten Entscheidungen dem mächtigen Beamtenapparat in Brüssel. Tschechien suchte Hilfe beim großen Vorgänger Frankreich.
Natürlich haben auch Luxemburg oder Irland nicht gleich beim ersten Mal alles perfekt hinbekommen. Doch sie konnten auf ihren Erfahrungen aufbauen, wenn sie nach einer überschaubaren Zeit wieder an die Reihe kamen. Tschechien wird nach den Regeln des Nizza-Vertrags jedoch fast 15 Jahre Zeit haben, um seine Brüsseler Lektion zu verdauen. Danach wird auf der Prager Burg kaum mehr ein Beamter sitzen, der das Desaster im Jahr 2009 live miterlebt hat.
Sechsmonatspraktikanten als EU-Präsidenten kann sich die Europäische Union nicht mehr leisten. Von ihr wird schließlich nichts Geringeres erwartet als eine solide Währungspolitik, die Stabilisierung der Finanzmärkte, eine kohärente Energiepolitik und die Sicherung der Energieversorgung - um nur einige der anstehenden Probleme zu nennen.
Doch ausgerechnet die Prager Regierungskrise blockiert die nötige Vertragsreform zusätzlich. Denn als Vorwand kommt sie Tschechiens Staatspräsident Václav Klaus gerade recht, um seine Unterschrift unter den Lissabon-Vertrag weiter hinauszuzögern. Und so schadet der Putsch der angeblich so europafreundlichen tschechischen Sozialdemokraten eben doch nicht nur der eigenen Regierung, sondern der gesamten Europäischen Union.
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