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Kommentar EU-KriseSehnsucht nach der EWG

Kommentar von Daniela Weingärtner

Der Rat der Regierungschefs ist führungslos, das EU-Parlament verabschiedet sich in die Sommerpause. Die Europawahl im Juni fällt in ein großes, nebliges Nachrichtenloch.

L aut Forsa-Umfrage plädiert derzeit jeder zehnte Deutsche dafür, die Europäische Union aufzulösen. Jeder Dritte wünscht sich die Rückkehr zur guten alten Wirtschaftsgemeinschaft EWG. Diese Sehnsüchte könnten schneller Wirklichkeit werden, als viele für möglich halten. Denn die mächtigste Institution der EU, der Rat der Regierungschefs, steht derzeit praktisch ohne Führung da. Das EU-Parlament hat sich gestern in eine lange Sommerpause verabschiedet. Die EU-Kommission wird bis Herbst nur noch kommissarisch arbeiten, da sie erst nach der Vertragsreform neu gewählt werden soll. Die Europawahl Anfang Juni fällt damit in ein großes nebliges Nachrichtenloch.

Seit Tschechiens Premier Mirek Topolanek im März über ein innenpolitisch bedingtes Misstrauensvotum stürzte, führt er die Union nur noch kommissarisch. Der zunächst groß angekündigte und dann zum Arbeitstreffen herabgestufte "Jobgipfel" am Donnerstag war eine seiner letzten Amtshandlungen. Auf die Frage eines Journalisten, ob er an andere Europäer, die wie er von Arbeitsplatzverlust bedroht seien, eine Botschaft habe, antwortete Topolanek auf seine unter Diplomaten inzwischen gefürchtete nassforsche Art: "Wenn man einen Job sucht, findet man einen." Unvergessen ist sein Auftritt Ende März im Europaparlament, als er das amerikanische Konjunkturprogramm als "Weg in die Hölle" bezeichnet hatte.

Auch der große Bahnhof beim Antrittsbesuch von Barack Obama in Prag geriet zum Desaster. Während der amerikanische Präsident mit Jubel und Fähnchen begrüßt wurde, hatten die Prager für ihren gescheiterten Premier nur Pfiffe und Buhrufe übrig. Dass sich Staatspräsident Vaclav Klaus weigerte, auf der Burg die Europafahne zu hissen, machte die Sache nicht besser.

Am Donnerstagnachmittag hatte Topolanek sein Europa-Debüt eigentlich mit der glanzvollen Gründung der Ost-Partnerschaft krönen wollen. Sie soll als Gegenstück zur Mittelmeerunion die östlichen Anrainerstaaten an die Union binden, ohne ihnen eine EU-Mitgliedschaft in Aussicht zu stellen. Die engere Zusammenarbeit mit Weißrussland, der Ukraine, Georgien und drei weiteren ehemaligen Sowjetrepubliken sieht Tschechien als Kernaufgabe seiner sechsmonatigen Ratspräsidentschaft. Doch mehrere Regierungschefs blieben dem Treffen fern. Niemand glaubt, dass die EU derzeit die politische Kraft aufbringt, um den neuen Pakt mit mehr Leben zu erfüllen als die vor sich hin dümpelnde Mittelmeerunion.

Das Vakuum an der EU-Spitze sorgt dafür, dass die Union ihre Interessen im internationalen Rahmen nicht mehr gut vertreten kann. Gestern gab Topolanek ein letztes Mal den Gastgeber, als bei einem "Energiegipfel" mit den Ländern der Kaukasusregion in Prag zuverlässige Zusagen über Gaslieferungen und Durchleitungsrechte vereinbart werden sollten. Die EU braucht die Unterschriften unter die Abschlusserklärung dringend, um die Pläne für die Nabucco-Pipeline vorantreiben zu können. Sie soll Erdgas aus der Kaspischen Region quer durch die Türkei und Osteuropa bis nach Österreich bringen. Das würde Europas Energieversorgung unabhängiger von russischen Gasquellen machen. Doch Kasachstan, Usbekistan und Turmenistan verweigerten gestern ihre Unterschrift unter das Dokument, was die Erklärung wertlos macht.

Ab heute steht Jan Fischer, ein parteiloser Statistiker ohne jede EU-Erfahrung, an der Spitze der Union. Er wird beim EU-Gipfel Ende Juni den blassen Gastgeber spielen, wenn ein Fahrplan für Irlands zweites Referendum zum EU-Vertrag ausgehandelt werden soll. Mehr Farbe brächte Staatspräsident Vaclav Klaus, der bereits damit gedroht hat, an Fischers Stelle nach Brüssel zu reisen. Er wäre die Traumbesetzung für all diejenigen, die lieber heute als morgen die Europäische Union auseinander fliegen sähen.

Der pfiffige Prager Installationskünstler David Cerny hat mit seinen Politikern inzwischen die Geduld verloren. Zu Beginn der tschechischen Ratspräsidentschaft machte er mit einem Kunstwerk im Brüsseler Ratsgebäude Furore, das die gegenseitigen Vorurteile der Europäer auf die Schippe nimmt. Gestern kündigte Cerny an, die Installation werde am Montag in der EU-Hauptstadt abgebaut und aus Protest gegen die Intrige, mit der Vaclav Klaus und die linke Opposition die Regierung gestürzt hätten, in Prag ausgestellt.

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1 Kommentar

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  • G
    GREGOR

    Manchmal denkt man, dass die EU eine Firma bzw. ein Konzern ist, der oder dem völlig egal ist, was die Mitarbeiter denken und tun. Und dass man von den Chefs nicht einmal als Europäer gekündigt werden kann, erzeugt fast allergische Reaktionen auf alles was mit dem Wort Europa zu tun hat. Und wenn irgendwann der Eindruck deutlich kommt, dass man ins Boot verführt wurde, dann kommt man nirgendwo an.