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Kommentar EU-GipfelTief gespaltene Union

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Donald Tusk spricht Tacheles: Die EU ist tief gespalten, in der Flüchtlings- wie in der Eurofrage. Neue Formen der Solidarität sind jetzt gefragt.

Hat keine Lust mehr auf Harmoniesauce und Merkels Sparkurs: EU-Ratspräsident Tusk Foto: dpa

E s war ein Krach mit Ansage. Im Herbst hatte EU-Ratspräsident Donald Tusk angekündigt, Entscheidungen auf EU-Gipfeln künftig anders vorzubereiten. Statt alle Konflikte in Harmoniesauce zu ertränken, wollte er Probleme der EU offen ansprechen, um sie dann leichter zu lösen.

Nun hat Tusk Klartext geredet – und damit das letzte Treffen der 28 Staats- und Regierungschefs in diesem Jahr überschattet. Mit seinen Aussagen zur umstrittenen EU- Flüchtlingsquote, die er „ineffizient“ und „spalterisch“ nannte, hat der rechtsliberale Pole einen Eklat ausgelöst.

Dass er es danach auch noch wagte, vor einer doppelten Spaltung der EU zu warnen, nahm ihm vor allem Kanzlerin Angela Merkel übel. Dabei hat Tusk ja recht: Neben dem neuen Graben zwischen Ost und West bei der Migration tut sich auch ein Riss zwischen Nord und Süd beim Euro auf.

Jahrelang wurden diese Gräben ignoriert. Jetzt liegen sie offen zutage. Das ist ärgerlich, aber auch eine Chance, endlich realistische Lösungen zu finden. Leider sieht es nicht danach aus, als ob dies auch gelingen würde. Denn so richtig Tusks Diagnose ist, so falsch ist seine Therapie.

Solidarität besser und anders organisieren

Die Lösung der Flüchtlingskrise liegt nicht in einem Zurück zu den Nationalstaaten, wie Tusk suggeriert. Denn das wäre, angesichts der Verweigerung in Polen, Ungarn und Tschechien, das Ende der Solidarität. Die Lösung liegt darin, die Solidarität anders und besser zu organisieren.

Statt mit verpflichtenden Quoten könnte es die EU mit freiwilligen Kontingenten versuchen, statt mit Zwangsgeldern mit Solidarbeiträgen für eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik. Der Westen sollte auf den Osten zugehen, statt ihn an den Pranger zu stellen.

Der Westen sollte auf den Osten zugehen, statt ihn an den Pranger zu stellen.

Ein neuer Ansatz ist auch in der Eurozone gefordert. Den Graben zwischen reichen Gläubigern im Norden und hoch verschuldeten Ländern im Süden wird man nicht durch eine verschärfte Sparpolitik überwinden, wie es Merkel mit ihrem Fiskalpakt vorhat. Der Pakt soll jetzt in EU-Recht überführt werden.

Die Schwarze Null für alle ist jedoch ebenso wenig eine Lösung wie der Versuch, ein paar Milliarden aus dem EU-Budget für den Euro abzuzwacken. Vielmehr sollte die EU endlich die Vorschläge des französischen Staatschefs Emmanuel Macron aufgreifen und über ein eigenes Euro-Budget und neue Formen finanzieller Solidarität nachdenken.

Doch da steht Merkel auf der Bremse, und das nicht erst seit der Bundestagswahl. Die CDU-Chefin blockiert schon seit Jahren jede große Euro-Reform. Hier offenbart sich eine dritte Spaltung der EU: Zwischen Besitzstandswahrern auf der einen und Reformern auf der anderen Seite. Merkel gegen Macron – das ist der neue, dritte Konflikt.

Noch ist er nicht offen ausgebrochen. Doch wenn es weitergeht wie bisher und alle Probleme auf die lange Bank geschoben werden, dann droht 2018 ein böses Erwachen. Im nächsten Sommer will Tusk den gordischen Knoten durchschlagen – beim Euro und bei den Flüchtlingen. Die Chancen stehen schlecht, trotz Klartext – denn die Spaltung sitzt zu tief.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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4 Kommentare

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  • "Die Lösung der Flüchtlingskrise liegt nicht in einem Zurück zu den Nationalstaaten, wie Tusk suggeriert. Denn das wäre, angesichts der Verweigerung in Polen, Ungarn und Tschechien, das Ende der Solidarität."

     

    Ach, zwischen einzelnen Nationalstaaten ist Solidarität nicht möglich?!

    Was ist denn dann mit den EU Mitgliedsbeiträgen, bei dem die reicheren Nationalstaaten mehr einzahlen als die ärmeren? Selbst innerhalb Deutschlands gibt es Solidarität zwischen den Bundesländern: Nennt sich "Länderfinanzausgleich"!

    Ideologie funktioniert nicht - nur Realismus und davon hat Tusk offenkundig mehr als die gesamte taz Redaktion.

  • In der "sozialen Marktwirtschaft" der europäischen Bourgeoisie gibt es keine "Solidarität"!

     

    Gibt es in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung “Solidarität“? Nein! Gibt es zwischen den kapitalistischen Staaten in der Europäischen Union “Solidarität“? Nein!

     

    Die EU ist vor allem die modifizierte Fortsetzung der westeuropäischen EWG, heute mit Ausdehnung auf Osteuropa. Sie ist keine europäische Union der christlichen Nächstenliebe und sozialen Barmherzigkeit, auch nicht gegenüber den kulturell und traditionell, den christlich geprägten und heutigen kapitalistischen osteuropäischen Staaten, innerhalb der EU.

     

    Die EU dient vor allem den bundesdeutschen und französischen Wirtschafts-, Konzern- und Monopolinteressen. Allenfalls der Einbeziehung der europäischen kapitalistischen Schwellenländer in die Verwertung ihrer möglichst willigen und billigen qualifizierten Arbeitskräfte.

     

    Vor allem vom bundesdeutschen Finanz- und Monopolkapitalismus wird dabei die gebrauchsfähige Anhebung des Lebensstandards der europäischen Schwellenländer angestrebt. Dabei auch zu sozialen Lasten der eigenen (nationalen) bundesdeutschen Arbeitskräfteklientel. So auch mit der Vorenthaltung von materiellen und sozialen Leistungen für die Menschen in Lohnarmut, so auch mit Mini-Mindestlohn, im Hartz-IV-Strafvollzug, für alleinstehende Mütter und Millionen Kinder, für Millionen Armutsrentner*innen [vor allem für Frauen, dabei ohne vorherigen Beamtinnenstatus]. –

     

    Kann sich doch der bundesdeutsche und staatsmonopolistische Kapitalismus, der Quandtschen Wirtschafts- und Monopolverbände, in Folge, recht preisgünstig aus der vorgehaltenen Arbeitskräftereserve der EU-Mitgliedsstaaten bedienen. Zugleich durch den Konkurrenzdruck, auf dem Arbeitskräfte- und Menschenverwertungsmarkt, die Arbeitslöhne gering halten. Zumal von den vereinten europäischen und spezialdemokratischen “Sozialpartnern“ [für und zw. Milliardär und Putzkraft] keinerlei Mobilisierung für einen sozialen Widerstand zu erwarten ist.

  • Die EU sollte sich doch auf ein Kerneuropa verständigen. Polen, Ungarn, die Tschechoslowakei und Sachsen könnten sich Putin anschließen. Genannte Staaten werden die EU sonst in Windeseile zersetzen!

    • @amigo:

      "Zersetzen" - interessante Wortwahl!

      Wo hab ich das nur das letzte mal gelesen...