Kommentar Deutsche Somalia-Politik: Einmarschieren oder raushalten
Es wird Zeit, anzuerkennen, dass Somalia seit zwanzig Jahren keinen funktionierenden Staat mehr hat und in absehbarer Zeit auch keinen bekommen wird.
S omalia - kein anderes Land auf der ganzen Welt beschäftigt Deutschland derzeit so intensiv wie dieser Failing State. In Hamburg stehen somalische Piraten vor Gericht. In Berlin muss der Bundestag demnächst das Mandat der Bundesmarine zum Antipirateneinsatz vor der somalischen Küste erneuern. Und zu allem Überfluss zeigt sich nun, dass Deutschland mit seinem Versuch, beim Aufbau der somalischen Polizei nachzuhelfen, indem es die Ausbildung finanzierte, exakt das Gegenteil bewirkt hat: Die vermeintlichen Polizisten stehen als Spezialkräfte an einer neuen Kriegsfront, und sie bekommen nicht einmal die von Deutschland zugesagten Gehälter, die sie davon abhalten sollen, mangels Bezahlung zu den Islamisten überzulaufen. Sie sind eine neue Bürgerkriegsmiliz.
All diese Aktivitäten beruhen auf einer Fehlannahme: nämlich dass Deutschland eine legitime somalische Regierung unterstützen würde, die leider aufgrund außergewöhnlicher Umstände gerade verhindert ist. Sonst könnte man ja selbstverständlich gefangene Piraten an Somalia ausliefern, die somalische Küstenwache verstärken und der Polizei im Land selbst unter die Arme greifen.
Es wird Zeit, anzuerkennen, dass Somalia seit zwanzig Jahren keinen funktionierenden Staat mehr hat und in absehbarer Zeit auch keinen bekommen wird. Selbst ernannte staatliche Strukturen zu stärken stärkt unter diesen Umständen lediglich eine von vielen Kriegsparteien.
Dominic Johnson ist Afrika-Redakteur im taz-Auslandsressort.
Wenn die internationale Gemeinschaft in Somalia wirklich die Machtergreifung durch radikale Islamisten verhindern und Piratenstrukturen zerschlagen will, muss sie in Somalia einmarschieren und das Land besetzen. Ansonsten soll sie die Somalis die Machtfrage unter sich klären lassen.
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