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Kommentar Dalai-Lama-VergleichHeiliger Zorn

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Rede der Hamburger Linkspolitikerin Christiane Schneider war kein Skandal, sondern eine Ungeschicklichkeit. Die Empörung über den "Tibet-Eklat" sagt mehr über die Empörten aus.

D ie Hamburger Linkspolitikerin Christiane Schneider hat den Dalai Lama mit dem Ajatollah Chomeini verglichen. Genau genommen hat sie nur darauf hingewiesen, dass die Welt mit religiösen politischen Führern keine guten Erfahrungen gemacht hat. Zudem hat sie auch China zur Einhaltung der Menschenrechte angemahnt. Doch das zählte nicht mehr. Denn ist die Erregungsgesellschaft erst mal in Fahrt geraten, kommt es auf Details nicht mehr an. Eine "schlimme Entgleisung", so tönt es seitdem aus Union und SPD.

Bild: taz

Stefan Reinecke ist Meinungsredakteur der taz.

Aber ist diese Rede wirklich ein Skandal - oder eher eine Ungeschicklichkeit? Wohl Letzteres. Es ist bestimmt nicht klug, den besonnenen Dalai Lama, der auf friedlichen Protest setzt, mit dem gewalttätigen Hassprediger Chomeini zu assoziieren. Aber eine kritische Haltung zum Dalai Lama ist noch kein Ausweis totalitärer Gesinnung. Und selbst wenn Schneider den Dalai Lama direkt mit Chomeini verglichen hätte - in der Zeitgeschichte finden sich mannigfach abstrusere Vergleiche. Helmut Kohl verglich vor 20 Jahren Gorbatschow mit Goebbels, der allseits gerühmte Hans Magnus Enzensberger erkannte in Saddam Hussein einen Wiedergänger Hitlers. Gemessen an solchen Irrtümern, nimmt sich der rhetorische Fehler der Linkspolitikerin bescheiden aus.

Aufschlussreicher als die Rede selbst ist das uniforme Echo, das sie ausgelöst hat: Es erinnert an Rudelverhalten. Offenbar gilt hierzulande das ungeschriebene Gesetz, dass der Dalai Lama sakrosankt ist - und wer sich daran nicht hält, wird symbolisch ausgeschlossen. Manche lassen dem Dalai Lama eine pseudoreligiöse Ehrfurcht angedeihen. Dabei mag die Sehnsucht nach einem Vorbild in vorbildarmen Zeiten eine Rolle spielen und dass sich Tibet für exotistische Wunschbilder eignet. Die maßlose Kritik an Schneider zeigt, wie viel Projektion beim Thema Tibet im Spiel sind.

Die Empörung über die Stasi-Verharmlosung der niedersächsischen DKP-Politikerin Christel Wegner war berechtigt. Die Empörung über die "Tibet-Affäre" sagt mehr über die Kritiker aus.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

9 Kommentare

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  • H
    HER

    @Matthias N.:

     

    ähh... "als der ungeschickte Vergleich eines religiösen Eiferers und seines Zeichens Anführer einer muslimischen Splittergruppe mit dem Anführer einer großen Weltreligion."?!

     

    Nach welchem Kriterium unterscheiden Sie eine "[religiöse] Splittergruppe" von einer "großen Weltreligion"?

     

    Zahl oder Wirkkraft kann's nicht sein...

  • T
    Tamara

    Vielleicht war das Vorgehen von Frau Schneider eine Ungeschicklichkeit. Wenngleich ein solcher Vergleich ja auch etwas über den eigenen politischen Denkhintergrund zeigt, eventuell Verständnis für eine Großmacht, die keine kulturellen und politischen Differenzen erträgt? Sie hinterfragt die Rolle der tibetischen Opposition, aber nicht die Motive der chinesischen Regierung. Das finde ich wirklich seltsam.

     

    Was mich an der TAz allerdings stört ist, dass es hier chic zu sein scheint, sich gegen den Dalai Lama zu wenden, auch das ein Reflex, den man schon seit geraumer Zeit beobachten kann. Was ist denn so unerträglich an einem Menschen, der sich tatsächlich friedlich für die Sache seines Volkes einsetzt? Was macht er in euren Augen falsch, so dass er nicht in gleichem Maße Beifall finden kann wie andere Repräsentanten, die sich für Freiheit und Gerechtigkeit einsetzen? Die Ressentiments in der TAZ gehen m.E. so weit, dass man in allen anderen Tageszeitungen mehr kritische Beiträge über Tibet lesen kann als hier. Nicht nur schade, auch ärgerlich.

  • G
    Gloria

    Herzlichen Dank für den guten Kommentar! Ich bin erleichtert, dass ich mit meiner Einschätzung nicht ganz falsch liege.

  • MN
    Matthias N.

    Auch in meinen Augen wiegt das Stasi-Zitat aus Niedersachsen wesentlich schwerer als der ungeschickte Vergleich eines religiösen Eiferers und seines Zeichens Anführer einer muslimischen Splittergruppe mit dem Anführer einer großen Weltreligion. Das Empörungspotenzial ist bei letzterem Vergleich aber nicht ganz so knöcheltief. Denn mindestens ein unaufgeklärtes Verhältnis zur Religion (vom Gläubigem wie dem Atheisten zu erwarten) offenbart er schon und der als Rettungsanker geworfene Verweis auf die "vordemokratische" Entstehung des buddhistischen Glaubens zeigt im Kern auch nur die irrige Annahme, Demokratie hätte mit uralter Religion (egal ob Christentum, Buddhismus, Judentum oder Islam usw.) garnichts am Hut oder sei eine Erfindung der Neuzeit. Das ist weniger skandalös aber auch kaum intelligent und in in meiner (ganz persönlichen) Sicht Ausdruck der vielzu dogmatischen Ansichten zur Gretchenfrage innerhalb der linken Szene, auch der progressiven.

  • VM
    Volker Mueller

    Der Pabst und Chomenei sehen sich als Stellvertreter Gottes auf Erden. Der Dalai Lama sieht sich selbst als lebender Buddha, als lebender Gott, also noch eine Groessenordnung esoterischer.

    Auch im Tibet-Konflikt waere es angebracht, die Kraefte der Aufklaerung zu foerdern.

     

    Der Nobelpreis fuer den Dalai-Lama war politisch motiviert und eine grobe Fehlentscheidung.

    Friedlich ist der Dalai Lama in Fensterreden gegenueber dem Westen.

    Bewaffneter Aufstand 1959, CIA-gefoerderte bewaffnete Subversion gegen China von 1959 bis 1973, gewalttaetige Krawalle 1989, progromartige Ausschreitungen gegen andere Nationalitaeten 2008 (neben Krawallen in Indien, Nepal und anderen Laendern), keine Qualifikation fuer einen Friedensnobelpreistraeger.

  • A
    Andreas

    An Schneiders Rede fand ich viel störender, dass sie meinte, man wisse ja nicht was in Tibet vor sich geht.Sie könne sich deshalb nicht der Verurteilung anschließen. Warum schließt sie sich dann nicht der internationalen Forderung an, dass unabhängige Beobachter ins Land kommen können.

    Außerdem hätte sie auch die Möglichkeit weltweit bei Menschenrechtsorganisationen zu erfahren, dass es sehr wohl Einblicke gibt. Möchte sie lieber wegschauen?

    Wundernkann man sich nur über ihre Kritiklosigkeit gegenüber dem chinesischen Kapitalismus.

    Weiterhin sollte sie sich besser über den Dalai Lama und seine Haltung zu religiöser und/oder politischer Führerschaft auseinandersetzen.

    Es war mehr als eine unglückliche Rede. Sie war dumm. Schade.

  • J
    Joe

    "Enzensberger erkannte in Saddam Hussein einen Wiedergänger Hitlers."

    War er es nicht ...? Ihr Wunschdenken, ihre Spekulation ? oder wissen sie mehr?

    Klären sie uns auf!

  • CG
    christoph glünz

    Ich bin ganz Ihrer Meinung!

    Der Dalai Lama wird ja auch mal einen Nachfolger haben,den wir noch nicht kennen.Es geht ja nicht um ihn persönlich, sondern um seine Position als Religionsführer.Der Protest in Tibet hat mit Religion wenig zu tun, glaube ich.Ich finde die Meinung von Frau Schneider exakt richtig LINKS.

  • BL
    Benjamin Lank

    Was sagt denn die Kritik an dieser Aussage ueber die Kritiker? Letztlich nur, dass man einen Dalai Lama hoch achtet, waehrend man einen Ajatollah Chomeini eher als einen sieht, der Gewalt und Unterdrueckung gegen bestimmte Gruppen (Frauen, Homosexuelle, Andersglaeubige) als Mittel der Auseinandersetzung preist! Religion per se ist nicht Gewalt erzeugend, auch nicht per se Opium fuer das Volk, das sollte sich auch in der taz langsam herumgesprochen haben.