Kommentar Dänische Obdachlose: Eiskalte Abschottung
Der dänische Kampf gegen die "Ausländerschwemme" hat viele Ressentiments geschürt und sich mittlerweile zu einer realitätsresistenten Phobie gewandelt.
A usländischen Obdachlosen auch nur so viel Hilfe zu gewähren, dass sie nicht auf der Straße erfrieren, gilt der dänische Regierung inzwischen als eine brandgefährliche Nachgiebigkeit. Schleusen könnten geöffnet, ein falsches Signal gar weltweit gesendet werden.
Mit dem Resultat, dass das kleine Dänemark von Obdachlosen überschwemmt und zur "Wärmestube der Welt" würde. "Oder zum globalen Sozialamt", um eine andere Phrase aus dem Regierungsrepertoire zu zitieren.
Was für eine absurde Vorstellung steckt hinter solcher Politik? Dass Geschäftemacher in Rumänien Busladungen von Menschen nach Kopenhagen locken, mit der ach so attraktiven Aussicht, dort tagsüber durch den Schnee zu waten, um abends in einer überfüllten Massenunterkunft einen Teller Suppe zu bekommen und auf einer Matratze zu schlafen? Der Kampf gegen die "Ausländerschwemme", mit der die dänischen Regierungsparteien seit zehn Jahren Ressentiments schürt, um sich an der Macht halten, hat sich mittlerweile zu einer realitätsresistenten Phobie gewandelt.
Reinhard Wolff ist Skandinavien-Korrespondent der taz.
Die Wirklichkeit ist eine andere. Die Menschen, die jetzt in Kopenhagen gestrandet sind und nur dank privater Initiativen nicht auf der Straße liegen bleiben, sind nicht als Obdachlose nach Dänemark gekommen. Sie waren auf Arbeitssuche, die meisten gemäß den Regeln der EU-Freizügigkeit. Was sie jetzt brauchen, ist ein wenig Hilfe, die dem reichen Dänemark wahrlich nicht wehtut.
Doch Kopenhagen meint offenbar, wenn sich in Ost- und Südeuropa erst einmal herumgesprochen hat, dass man Obdachlose in Dänemark kurzerhand sterben lässt, sei damit "das Problem" gelöst. Von Protesten gegen seine Ausländerpolitik hat sich Kopenhagen in der Vergangenheit nicht beeindrucken lassen. Dass sich jetzt die Zivilgesellschaft für die ausländischen Obdachlosen engagiert, deutet aber darauf hin, dass die politische Elite für immer mehr Dänen den Bogen überspannt hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“