Kommentar Clement: Clement geht. Die SPD-Krise bleibt
Bei fast allen wichtigen Fragen ist Clement auf Parteilinie - allerdings auf der der FDP. So gesehen ist sein Austritt aus der SPD folgerichtig.
Wolfgang Clement streitet für Atomkraft und mehr Privates im Gesundheitssystem, er wettert gegen Kündigungsschutz, Mindestlöhne und zu viel Öko sowieso. Bei fast allen wichtigen Fragen ist er auf Parteilinie - allerdings auf der der FDP. So gesehen ist sein Austritt aus der SPD folgerichtig. Nicht dass er der SPD den Rücken kehrt, erstaunt. Sondern wie er es jetzt tut.
Stefan Reinecke, 49, lebt in Berlin- Kreuzberg, war früher Redakteur der taz-Meinungsseite und ist seit fünf Jahren Autor der taz. Er beschäftigt sich vor allem mit Innenpolitik, Parteien und Geschichtspolitik.
Wie weit er von der heutigen SPD entfernt ist, zeigt die Begründung für seinen Austritt. Die SPD betreibe die "Deindustrialisierung Deutschlands". Müssen wir uns Müntefering als neuen Morgenthau vorstellen? Merkwürdig auch, dass Clement jetzt die Zusammenarbeit mit der Linkspartei in den Ländern aufstößt - die gibt es mancherorts schon seit mehr als 10 Jahren.
Clement ist nicht der erste Politiker, der machtpolitisch kaltgestellt und darüber bitter und egozentrisch wurde. Egoman ist die Art und Weise, wie er diesen Abgang inszeniert hat. Die gesamte Parteispitze hat sich bemüht, ihm Brücken zu bauen - Clement hat sie mit einem möglichst lauten Knall gesprengt. Nein, es ist kein Schaden, dass dieser zornige, alte Mann der SPD den Rücken kehrt.
Aber es geht um mehr als um die steilen Selbstüberhöhungen von Wolfgang Clement. Dieser Fall zeigt, wie stark die Fliehkräfte in der SPD - trotz aller Versöhnungsrhetorik - sind. In Hamburg haben SPD-Rechte kürzlich den SPD-Linken Niels Annen weggeputscht, in Hessen haben drei Abweichler Ypsilanti verhindert. Die Bandagen im innerparteilichen Kampf werden härter. Der Wirtschaftsflügel, der nicht so viel anders tickt als Clement, klingt oft wie die FDP, mancher SPD-Linke wie Lafontaine. Ein weiter Bogen. Zu weit für eine Volkspartei.
Die SPD war stets stark, wenn sie mit den Konzepten ihres linken und rechten Flügels etwas anzufangen wusste, wenn sie Fortschritt und Sozialstaat, Solidarität und Leistung versöhnte. Aufstieg für alle, so lautete das sozialdemokratische Versprechen in guten Zeiten. Und heute? Nach der Agenda 2010 fehlt der Partei eine zündende Idee, wie sich diese Botschaft glaubwürdig erneuern lässt. Auch deshalb fallen die Flügel übereinander her. Keine falsche Schadenfreude also. Clement ist weg, die Krise bleibt.
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