Kommentar Chemie in Lebensmitteln: Zu komplex, um sicher zu sein
Die Wege der Lebensmittelproduktion sind so komplex, dass Verbraucherwissen über fragwürdige Zusatzstoffe längst die Ausnahme ist.
L ecker ist das alles nicht. Desinfektionsmittel im Kräutertopf, verbotene Substanzen auf der Banane: Die Erkenntnis, dass sich seit Jahren eine nicht erlaubte Chemikalie mit unklarer Wirkung auf Lebensmitteln befindet, ist nicht geeignet, das Vertrauen der Verbraucher in die Lebensmittelbranche zu stärken – auch wenn die Landwirte hier keine Schuld trifft.
Dabei geht es nicht darum, Kontrollen zu verschärfen, sondern überhaupt um eine Überprüfung dessen, was der Hersteller des sogenannten Pflanzenstärkungsmittels da in sein Produkt mixt. Doch das eigentliche Problem ist: Die Wege der Lebensmittelproduktion sind so komplex, dass Verbraucherwissen über die Behandlung längst die Ausnahme ist.
Lebensmittel werden angebaut, geerntet, verpackt, verschifft, umverpackt, weitertransportiert, verarbeitet, laufen über Förderbänder und durch Rohre, werden in Maschinen gerührt, abgefüllt und über mehrere Zwischenhändler verkauft. Im Zweifel ist es einfach, die Schuld auf jemand anderen zu schieben.
Svenja Bergt ist Redakteurin im Ressort Ökologie und Wirtschaft der taz.
Doch selbst wenn es Kontrollen gibt – eine Garantie, dass sie greifen, fehlt. Zum Beispiel Dioxin, von dem immer wieder mehr als erlaubt in Eiern und Fleisch gefunden wird. Mittlerweile sind die Labore verpflichtet zu melden, wenn sie in einer Probe überhöhte Werte messen. Eigentlich eine gute Idee. Doch gemeldet wird mitunter erst, wenn die Ware bereits verzehrt ist – und dass Labore nach Positivmeldungen befürchten, Aufträge zu verlieren, ist ein offenes Geheimnis.
Ein Loch ist gestopft, schon tut sich das nächste auf. Die Kartoffeln laufen über ein Band? Die Kühe werden maschinell gemolken? All das muss gereinigt werden, mit Desinfektionsmitteln, die nun unerwünschterweise in der Nahrung auftauchen. Also mehr reinigen? Nicht reinigen?
Dass Grenzwerte – wie nach Fukushima oder jetzt beim Fund von DDAC – einfach mal angehoben werden, macht es nicht besser. Welche Bedeutung hat ein Grenzwert, der nach Gutdünken flexibel ist?
Was für die bleibt, die keinen Apfelbaum im Garten und keine Kuh auf dem Balkon haben, ist nur der Trost, im Kleinen steuern zu können. Wer regionale und ökologische Strukturen stärkt, senkt die Zahl der Produktionsschritte. Und kann auch mal selbst nachfragen, womit der Landwirt eigentlich seine Melkmaschine reinigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“