Kommentar CSU-Absturz: Kein Bazi, nirgends
Beckstein und Huber sind abgewatscht worden, weil sie nicht CSU genug waren. Ihre Niederlage ist kein Grund zur Freude - unter Horst Seehofer wird sich die Partei revitalisieren.
I rgendwie, so scheint es, freuen sich alle über das Wahlergebnis in Bayern. Allerdings nur ein bisschen, und wenn man genauer hinsieht: eigentlich kaum. Dass in Bayern jetzt die Demokratie ausgebrochen sei, der alte Kabarettistenwitz wird noch ein letztes Mal bemüht. Dass jetzt auch hier "Normalität" einkehren wird, dass der bayrische Sonderweg zu Ende ist, erkennen die Mainstream-Kommentatoren scharfsinnig. Und, na ja, dass halt jetzt alles noch gleicher ist in Deutschland, so eine nostalgische Bemerkung ist schon auch zu hören.
Warum wir uns nicht so recht freuen können: weil es weder eine "Revolution" gegeben hat, noch eine einschneidende Veränderung, noch gar so etwas wie einen Neuanfang. Für jemanden, der sich ein bisschen auskennt hier heroben, ist es nicht einmal eine große Überraschung. Die Partei hat eine Watschn bekommen, aber das System CSU reorganisiert sich schon, während sich die eine oder der andere noch die Backe reibt, es baut sich um, damit es eine neue Stabilität erhält. Es gibt keine neuen Interessen in Bayern - die alten Interessen haben sich nur neue, effizientere Vertreter gewählt.
Die lange Alleinherrschaft der CSU hat nämlich nicht nur einen ideologischen Grund. Genauer gesagt hat dieser Wahlkampf sogar bewiesen, dass die CSU eher verliert, wenn sie ideologisch genauer und kleinteiliger wird: Bis hin zu Stoiber, auch wenn der es manchmal sehr ungeschickt machte, war ihren Führern immer klar, dass eine Bierzelt-Rede eine Bierzelt-Rede ist und bleibt, und auch ihren Wählern war das klar; die Trennung von Politik und Karneval verläuft in Bayern anders, nicht nur weil man hier den Karneval Fasching nennt und einen erfolgreichen Politiker einen, "der es ihnen schon zeigt". Die Macht der CSU in Bayern beruht auf der Übereinkunft, dass sie gegenüber der Mehrheit auf ihre Ausübung verzichtet. CSU wählen ist die Garantie dafür, bei der Ausübung deiner Geschäfte in Ruhe gelassen zu werden. Anderswo sagt man Mafia dazu; soll niemand sagen, Bayern habe keinen Beitrag zur Humanisierung der politischen Ökonomie geleistet.
Die lange Alleinherrschaft der CSU ist auch nicht allein durch Milieu und Struktur zu erklären; die Organisation der "Freien Wähler" hat vor Ort immer wieder gezeigt, dass man pragmatisch sehr schnell die Positionen jener Partei schleifen kann, die die Schlüsselpositionen der politischen Ökonomie eines Landes besetzt, das sein bäuerliches Wesen nicht verleugnet. Meistenorts sind die "Freien Wähler" nichts anderes als eine verflüssigte Form des CSUismus. Ihr könnt der CSU die Mehrheit nehmen, aber der bayrischen Mehrheit nicht ihre CSU.
Beckstein und Huber haben nicht mit der CSU verloren, sie haben in der CSU verloren: Sie werden von der bayrischen Bevölkerung "abgewatscht", weil sie nicht CSU genug sind. CSU ist indes nicht nur eine Partei, sondern viel mehr eine Art, Politik zu verstehen und zu machen, und das versteht und macht man ohne weiteres auch unter anderem Namen. Da haben dann Grüne, die von sich behaupten, sie seien ohnehin die bessere CSU, und auch so auftreten, genau das richtig erkannt, während eine SPD in Bayern nie den Ruch verliert, eine Partei der Fremden, der Verlierer, der Abstinenzler zu sein.
Die Alleinherrschaft der CSU war vielmehr die einzige Möglichkeit, die inneren Spannungen dieses Landes zu bewältigen und sogar fruchtbar zu machen. Der Widerspruch zwischen dem Laptop und der Lederhose, dem Agrarischen und dem Urbanen, katholischen Bauern und protestantischen Kleinbürgern, dem Leben im Süden und der Verwaltung aus dem Norden, Derbheit und Feinsinn, zwischen Spezlwirtschaft und Global Playing. Das Bild, das Bayern von sich herzeigt und dessen perfektes Instrument die CSU war (und nach den entsprechenden Umbauten auch wieder wird), ist deswegen so über-eindeutig und geschlossen, weil man es braucht, um eine höchst widersprüchliche und zerrissene Gesellschaft zusammenzuhalten. Alle Modernisierungskrankheiten der Bundesrepublik finden sich in Bayern in verschärftem Zustand, aber nirgendwo hat man sie so perfekt übertönt. Dass man die Modernisierungsverluste entweder gering gehalten, außer Landes geschickt oder unsichtbar gemacht hat, ist dem einmaligen Talent der hiesigen Kultur zu verdanken, Form und Inhalt zu trennen. Ihr Markenzeichen ist "Stabilität". Ihr Trick ist, dass (beinahe) jeder weiß, dass die bayrische Stabilität eine Illusion ist. Oder eine Ware.
Beckstein und Huber sind vielleicht die ersten bayrischen Politiker, die selber auf eine kreative Wahnidee namens CSU hereingefallen sind, sie beim Wort nahmen; sie waren so beflissen und authentisch, dass man vielleicht zum ersten Mal gemerkt hat, dass man mit dem rechtskonservativen Kirche-im-Dorf-Lassen, dem "Mir san mir" und Tradition, Brauchtum, Ordnung und "anständige Leute" alles machen darf, nur nicht es ernst nehmen. Beckstein und Huber waren die ersten und letzten CSU-Politiker, die ihre Partei gewissermaßen diskursiv verstanden. Womöglich haben diese Musterknaben sogar mal ihr Parteiprogramm gelesen, wer weiß? Da ist etwas auf der einen Seite der protestantisch-verbissene Verwalterregent, auf der anderen Seite der ewige Ministrant, der es jedem Kirchgänger recht machen will. Kein Bazi, nirgends. Jedenfalls machten sie beide den Eindruck, als würden sie entweder den Stuss, den sie erzählen, selber glauben. Oder als hätten sie, wenn man ihnen doch allzu viel Stuss in die Reden geschrieben hatte, erhebliches Bauchweh. So etwas geht natürlich nicht.
Jetzt also kommt der Seehofer. Dem trauen wir weder zu, dass er auf seine eigene Partei und ihr Bild hereinfällt, noch dass er jemals Bauchweh bekommt, wenn er Reden hält. Ahnen wir nicht schon in seinem Auftreten und den scheinheiligen "Katastrophe!"-Rufe die Wiedergeburt des bajuwarischen Bazitums in modernisierter Form? Zu dieser Modernisierung gehören natürlich die ökonomischen Schlipsträger der FDP, man wird sie eine Zeit lang brauchen. Eine seehoferistische CSU, die sich mit Hilfe der FDP ökonomisch verschärft und mit den Freien Wählern arrangiert, wird sich nach den nächsten Modernisierungsschmerzen revitalisieren. Und die Form-Inhalt-Dialektik bayrischer Politik wird ihren alten Unterhaltungsfaktor zurückbekommen.
Das Fatale freilich ist: Solange man über Bayern und sein Einparteiensystem noch Witze machen konnte, solange man sich hier auch wirklich von einer ungebremsteren Macht bedroht fühlen durfte als im Bundesland nebenan, solange Konformität und Bazitum im Bierzelt und im Bauausschuss sich ergänzten, solange man, kurz gesagt, die Alleinherrschaft der CSU als "Rückständigkeit" und nicht als Ausdruck einer höchst effizienten politischen Ökonomie ansah, so lange gab es immerhin einen Traum. Opposition hat hier immer etwas Fundamentales. Und die scheinbare Normalität und reale CSU-Modernisierung ist kein Stoff für fundamentale Oppositionsträumer.
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