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Kommentar BundesfreiwilligendienstEine Bremse fürs Engagement

Kommentar von Susanne Messmer

Der Bundesfreiwilligendienst ersetzt seit wenigen Wochen den Zivildienst. Doch der Zulauf ist schleppend, für viele ist das Freiwilligendienst nicht attraktiv.

M acht man im Bekanntenkreis eine Umfrage zu den eigenen Erfahrungen als Zivildienstleistender: Fast alle sagen, sie hätten eine ziemlich gute Zeit gehabt.

Es gibt sogar Männer, die Arzt wurden, weil sie Zivi in einem Krankenhaus waren. Oder die Jahre später die Freundschaft mit einer Alzheimer-Kranken oder die Arbeit mit Problemkids als prägendstes Erlebnis beschreiben, bevor sie in die Mühlen von Berufsfindung und Geldverdienen gerieten.

In Zeiten, da sich selbst die Uni zur zweiten Schule entwickelt, in der es eher um Anwesenheitslisten und straffe Stoffbewältigung in kürzester Zeit geht als um Erkenntnis und Selbstfindung, könnte das, was dem abgeschafften Zivildienst nun folgt, noch attraktiver werden.

SUSANNE MESSMER

ist Redakteurin der taz.

Soziales Engagement wird heute selbst unter jenen Jugendlichen groß geschrieben, die sich als politikfern beschreiben. Klar, dass dieser Elan von einer Gesellschaft gebraucht wird, die altert und trotzdem für Pflege nur kleines Geld ausgeben will. Nur eines scheint nicht verstanden worden zu sein: Der Bundesfreiwilligendienst muss gefördert und beworben werden.

Stattdessen wurde er auf die Bedürfnisse einer schwerfälligen Institution ausgerichtet, die den Zivildienst verwaltet hat. Er soll sich Älteren und Arbeitslosen öffnen und wird damit den jungen Leuten, die schnell einsteigen wollen, zu unsexy und zu kompliziert. Bislang ist der Zulauf mickrig im Vergleich zu den Zivildienstleistenden und zur Nachfrage nach dem Freiwilligen Sozialen Jahr, die nicht gedeckt werden kann.

Warum wurde der Bundesfreiwilligendienst nicht mit dem Freiwilligen Sozialen Jahr zu einem attraktiven Angebot für all jene verschmolzen, die nach der Schule etwas tun wollen für die Gesellschaft, in der sie leben? Dann doch lieber die Weltreise, wird mancher Jugendliche entscheiden.

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Redakteurin taz.Berlin
Jahrgang 1971, schrieb 1995 ihren ersten Kulturtext für die taz und arbeitet seit 2001 immer wieder als Redakteurin für die taz. Sie machte einen Dokumentarfilm („Beijing Bubbles“) und schrieb zwei Bücher über China („Peking" und "Chinageschichten“).

2 Kommentare

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  • M
    Mart

    Auch wenn Beelzebub es etwas überspitzt dargestellt hat. Inhaltlich hat er recht. Klar kann auch ich ein paar Anekdoten aus meiner Zivi-Zeit erzählen (von der "lustigen" Anhörung angefangen). Das können auch die Bundeswehrler. Aber dass das so eine tolle Zeit gewesen sein soll...Ich hatte einigermaßen Glück, von der Tatsache abgesehen, dass ich 16 Monate für praktisch lau auf das Wohlwollen unterschiedlichster Vorgesetzter angewiesen war. Und in einem größeren Laden fühlt sich jeder und vor allem JEDE als weisungsbefugt gegenüber dem Zivi. Außerdem kenne ich genügend Zivi-Kollegen, die sich ausrechnen konnten, was der Arbeitgeber, z.B. bei Essen auf Rädern, gegenüber dem Festangestellten Fahrer einsparen konnte. Und ich erinnere mich noch gut, dass damals das Taschengeld um eine Mark pro Tag angehoben wurde, natürlich nicht stillschweigend, sondern begleitet von Ministerworten, man erhoffe sich dadurch eine erhöhte Motivation von den Wehr- und Zivildienstpflichtigen! Soviel zu Anerkennung, Charakterbildung und Sinnstiftung. Also geht mir weg mit dem Mythos dieser wertvollen, charakterbildenden Zeit, von der ausgerechnet Frauen so gerne schwärmen. Freiwilliges Engagement für sinnstiftende Aufgaben wird es weiterhin geben. Aber für den großen Rest der Fahr-, Putz-, Hauswart- und sonstigen Jobs wird man halt mal Geld hinlegen müssen.

  • B
    Beelzebub

    "Macht man im Bekanntenkreis eine Umfrage zu den eigenen Erfahrungen als Zivildienstleistender: Fast alle sagen, sie hätten eine ziemlich gute Zeit gehabt."

     

    Wenn man lange genug sucht, findet man bestimmt auch Zwangsprostituierte, die auf Wunsch sagen, eigentlich hätten sie eine ziemlich gute Zeit im Bordell gehabt.

     

    "Es gibt sogar Männer, die Arzt wurden, weil sie Zivi in einem Krankenhaus waren."

     

    Bestimmt hat es in den US-amerikanischen Südstaaten nach dem Sezessionskrieg jede Menge Schwarzer gegeben, die Farmer wurden, weil sie auf den Baumwollplantagen so viel über Landwirtschaft gelernt haben.

     

    "Bislang ist der Zulauf mickrig im Vergleich zu den Zivildienstleistenden und zur Nachfrage nach dem Freiwilligen Sozialen Jahr, die nicht gedeckt werden kann."

     

    Da heben wir den Grund für die hohe Arbeitslosigkeit (bsonders unter Schwarzen) in den USA und die wirtschaftliche Misere dortselbst: Man hätte halt die Sklaverei nicht leichtfertig abschaffen sollen, da sich, wie es aussieht, nicht genug Freiwillige gefunden haben, die bereit waren, sich für eine Handvoll Cents auf den Plantagen krumm und dumm zu schuften.

     

    Vorschalg zur Güte, allerwerteste Frau Messmer: wenn es wirklich eine so tolle Sache ist, junge Menschen unter Androhung von Knaststrafen zu unbezahlten Zwangsdiensten zu pressen, bin ich gerne bereit, Seit' an Seit' mit Ihnen für die Wiedereinführung der Wehr- und Zivildienstpflicht zu kämpfen.

     

    Vorausgesetzt natürlich, dass zu diesen Zwangsdiensten für die nächsten zweihundert Jahre ausschließlich Frauen herangezogen werden. Verfassungsrechtliche Hindernisse sind nicht zu befürchten. Schließlich galt es ja auch bisher als mit der Gleichberechtigung der Geschlechter vereinbar, ausschließlich Männer zu versklaven.