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Kommentar Bund der VertriebenenJenseits von Frau Steinbach

Kommentar von Christian Semler

Das Alleinvertretungsrecht des Bundes der Vertriebenen (BdV) im Stiftungsrat ist ein grundlegender Fehler. Auch außerhalb des BdV gibt es viele, ehemals Vertriebene.

D er Streit um die "Personalie" Steinbach hat es mit sich gebracht, dass einige wichtige, mit der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Vergebung" zusammenhängende Fragen deutlich unterbelichtet geblieben sind. Das Stiftungsgesetz sieht vor, dem Bund der Vertriebenen (BdV) drei Sitze im Stiftungsrat zuzugestehen. Damit wird ein Alleinvertretungsrecht des BdV festgeschrieben, das mit der Realität nichts zu tun hat.

Denn es gibt außerhalb des BdV eine große Zahl von ehemaligen Vertriebenen und deren Kindern, die sich in polnisch-deutschen Initiativen organisiert haben. Oft genug entstehen Freundschaften mit Polen, die ihrerseits nach 1945 aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten vertrieben worden sind. Diese Initiativen leisten praktische Arbeit, auch Erinnerungsarbeit. Sie bilden den Kern des polnisch-deutschen Versöhnungsprozesses - und sie fühlen sich mehrheitlich durch die Führung des BdV nicht vertreten.

Ein zweites Problem betrifft die fortbestehenden Grundorientierungen des BdV. Erika Steinbach hat zwar vielfach von Empathie mit den Leiden aller Vertriebenen des 20. Jahrhunderts gesprochen. Aber im BdV wie in den großen Landsmannschaften trifft man auf einen Kampf um die Anerkennung als Opfer, der völlig selbstbezogen ist. Der BdV hält an seinen Feindbildern fest. Er ignoriert, in welchem Ausmaß beispielsweise polnische und tschechische Wissenschaftler sich kritisch mit der Geschichte der Vertreibungen nach 1945 beschäftigt haben. Und wie auch in der Öffentlichkeit Debatten um Flucht und Vertreibung der Deutschen entstanden sind. Der BdV befördert damit die extrem nationalistischen Kräfte, sei es in Polen, sei es in Tschechien.

Die Stiftung, die jetzt hoffentlich in die Gänge kommt, trägt die Spuren des Kompromisses mit Erika Steinbach und dem ursprünglichen BdV-Projekt "Zentrum gegen Vertreibungen". Ihr künftiger Ruf wird davon abhängen, dass die Ausstellung wie die anderen Stiftungsprojekte - einschließlich der wissenschaftlichen Beratung - einer vom BdV unabhängigen Linie folgen

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4 Kommentare

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  • I
    Ioan

    Liebe Ulka,

     

    interessanterweise fängt für die polnische Botschaft die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen anscheinend im Jahre 1939 an.

    Zumindest schien es mir so, als ich das letzte Mal an dieser in Berlin vorbei ging und nur Photos aus dem 2. Weltkrieg ausgestellt waren.

     

    Vielleicht wäre es nicht nur diplomatischer sondern auch konstruktiver, wenn man nicht nur teilendes sondern auch verbindendes darstellte (1848, Sachsen-Polen,...).

     

    Als Nachfahre ethnischer Polen, Tschechen, Russen und Deutscher macht es mich besonders traurig wie das heutige Polen seine Nachbarn mit ständigen Unterstellungen vergrämt, anstatt pragmatisch nach vorne zu schauen.

     

    Schuldzuweisungen sind in meinen Augen auch oft einfach die Ablehnung von eigener Verantwortung.

  • U
    Ulka

    Zum Kommentar von "Ihr Name Luise Wilotzki":

    1. Interessanterweise fängt für viele Deutschen die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen im Jahre 1919. Was war davor? Da haben Sie offenbar übersehen, dass es vor dem I. Weltkreig keinen polnischen Staat gegeben hat - auch deswegen, weil sich die westlichen Nachbarn an den Teilungen Polens massiv beteiligt und - besonders seit dem "Kulturkampf" - den Polen das Recht auf ein Bestehen als Polen abgesporchen haben. Die Angst vor Deutschland und die Forderungen an den Nachbar (welche Forderungen meinen Sie denn eigentlich genau?) nach 1919 waren gar nicht unbegründet, was sich 1939 gezeigt hat.

    2. Polnische Reaktion, als "hysterisch" zu bezeichnen ist typisch für den Diskurs über Polen in Deutschland. Dafür braucht man keine Fakten zu nennen (man braucht sie sogar nicht zu kennen), man kann aber den Gesprächspartner schnell fertig machen. Etwas primitiv, aber wirksam...

    3.Nicht die Polen haben über die Grenzverschiebung und damit auch über die Vertreibung entschieden. In dieser Angelegenheit wenden Sie sich, bitte, an Moskau, London und Washington.

    4. Selbst wenn die Polen an den Vertreibungen so große Schuld hätten, wie sich das der BdV wünscht, würde das nichts an der Tatsache ändern, dass sie Opfer einer ungeheuren deutschen Aggression zwischen 1939-1945 waren.

  • M
    meinname

    Ein schlechtes Gewissen bzgl. des "Geschenkes" haben Polen betsimmt nicht - warum auch? es handelte sich ja eher um einen Tausch und natürlich musste auch Polen seine polnischen (Ost-)Flüchtlinge irgendwo ansiedeln.

    Und dass man Deutsche nicht im eigenen Land behalten wollte kann man doch nach 1939 nicht verübeln. Die Angst, dass dann nach 20, 30 Jahren wieder zum "Schutze der Volksdeutschen" deutsche Stoßtruppen sich nach Osten aufmachen war nachvollziehbar.

    Eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte findet in Polen durchaus statt, zumindest auf wissenschaftlicher Ebene.

  • IN
    Ihr Name Luise Wilotzki

    Polen wird nicht für alle Zeiten verhindern können, daß auch unbequeme Wahrheiten zum Vorschein kommen. Deutschland gesteht immer und immer wieder Schuld ein, während Polen sich in der Rolle des ewigen Opfers gefällt.

    Einen "West"drang Polens mit großen Forderungen an Deutschland gab es schon nach dem 1. Weltkrieg. Davon möchte man heute nichts mehr wissen. Nur das wäre aber ehrlich und würde der Versöhnung dienen.

    Die geradezu hysterischen Reaktionen Polens lassen den Verdacht aufkommen, daß man wohl doch ein leicht schlechtes Gewissen hat, von Stalin deutsches Staatsgebiet "geschenkt" bekommen zu haben und dann auch noch eine (heute doch so geächtete) "ethnische Säuberung" durchgeführt zu haben. Man hätte die Deutschen ja auch im Land behalten können ...