Kommentar Brender: Überzogen, aber nicht falsch
Der Stasi-Vergleich von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender ist nicht falsch. Denn das Zweite ist alles andere als ein Musterbeispiel für Demokratie.
E s scheint im Trend zu liegen, dass sich abgesägte Chefredakteure einer ungeschickten Wortwahl bedienen: Sergej Lochthofen sprach nach seinem unerwarteten Rausschmiss bei der Thüringer Allgemeinen letzten November von Sippenhaft. Jetzt erregt der Ende März scheidende ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender die Gemüter. Im ZDF gebe es ein "Spitzelsystem", bei dem "Redakteure den Parteien Senderinterna zutragen", es sei "wirklich vergleichbar mit den IMs der DDR", so Brender.
Man mag Brenders IM-Spitze gerne für daneben halten. Doch zu viel Aufregung über den schiefen Vergleich - das ZDF ist keine Diktatur - verstellt den Blick auf das Wesentliche: Ein Musterbeispiel für Demokratie und Recht ist das ZDF nämlich auch nicht. Das hat der rein politisch motivierte Durchmarsch der Union in Sachen Brender hinlänglich gezeigt.
Und nicht nur beim "Zweiten" gibt es die Parteidiener mit Redakteursmäntelchen. Sie beschädigen zwei Institutionen der Demokratie: den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den unabhängigen Journalismus. Dass es sich bei den Informationen oft um Belanglosigkeiten handelte, tut nichts zur Sache. Es reicht, dass über diese Infiltration die Personalpolitik entscheidend beeinflusst wird. Damit gehören die "Spitzel" in die gleiche Kategorie wie einst die journalistischen Zuträger des BND.
Steffen Grimberg ist Medien-Redakteur der taz.
Dass die Parteien glauben, auf derartige Mitarbeit nicht verzichten zu können, hat einen positiven Aspekt: Der jahrzehntelang bis in die Redaktionen hinein ungefragt akzeptierte Parteieneinfluss im öffentlich-rechtlichen System hat seine beste Zeit hinter sich. Die großen Parteien versuchen noch etwas zu kontrollieren, was ihnen - von einigen Sendern wie dem Hessischen oder dem Bayerischen Rundfunk leider abgesehen - zum Glück längst entglitten ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an