Kommentar Bosniens Perspektiven: Ein von Europa verlassenes Land
Für viele Menschen in Bosnien verblasst das Licht am Ende des Tunnels. Dieses Licht war einmal die EU.
I st Bosnien ein verlorenes Land? Noch drängt nicht die gesamte Bevölkerung ins Ausland, es gibt viele Junge, die bleiben wollen, es gibt Vitalität, eine menschlich berührende, nichtnationalistische und tolerante Tradition und nach wie vor ein vor allem bei den Bosniaken lebendiges positives kollektives Nationalbewusstsein. Doch verblasst für die meisten Menschen das Licht am Ende des Tunnels. Und dieses Licht war einmal die EU.
Die negative Stimmung wird natürlich auch durch interne Ereignisse genährt. Die jetzt von dem Sozialdemokraten Zlatko Lagumdzija vorgeschlagenen Verfassungsänderungen sind nur ein Ausdruck länger wirkender politischer Linien. Sie kommen den kroatischen Nationalisten entgegen, die nichts aus der blutigen Vergangenheit gelernt haben. Natürlich müssen in so einem komplizierten und heterogenen Land Kompromisse geschlossen werden. Mit allen. Und doch muss man fragen, ob der Machterhalt diesen Kompromiss wirklich rechtfertigt.
Mit dem Rücktritt des Sozialdemokraten Komsic als Mitglied des Staatspräsidiums wird der Konflikt nun in die Partei verlagert. Komsic ist populär, ein Urgestein Sarajevos, ein Kroate, der im Krieg für ein multinationales Bosnien und Herzegowina gekämpft hat. Ein Symbol für den Zusammenhalt des Landes und für die religiös-politische Toleranz. Nach wie vor wollen ja die nationalen Kräfte der Nachbarländer Kroatien und Serbien Bosnien und Herzegowina zerstören.
ist Korrespondent der taz in Sarajevo.
Mehr als die schon 100 Jahre lang bekannte Attacke der Nationalisten beider Seiten aber schmerzt, dass das Europa der EU seit Jahren nichts mehr dagegen unternimmt. Die EU ist heute offenbar nicht mehr daran interessiert, sich für die eigenen Werte Toleranz, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzusetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass