Kommentar Blogger-Abmahnung: Ein Bahn-Chef von gestern
Bahnchef Mehdorn mahnt einen Blogger ab, der ein Bahn-Papier auf seine Seite stellt. Zeichen dafür, dass er die Wissensverbreitung per Internet als Bedrohung wahrnimmt.
E s gab mal eine Zeit, in der die Privatisierung von Staatsunternehmen sehr modern war. Echte Manager räumten die Beamtenschreibtische bei Post, Bahn und Telekom weg und sorgten für unternehmerisches Denken. Für sie war das Internet vor allem ein weiterer Weg zum Geldverdienen. Doch diese Zeiten sind vorbei.
Stephan Kosch ist Redakteur im taz-Ressort Ökologie und Wirtschaft.
Nicht nur, weil viele Unternehmen jetzt wieder verstaatlicht werden. Jeder noch so renditeorientierte Unternehmer muss auch wissen, dass das Internet mehr als nur Kommerz ist. Es ist zu einer offenen Plattform geworden, die an ihren besten Stellen Wissen und einen Diskussionsort für alle bietet und dem demokratischen Diskurs dient. Unzählige frei zugängliche Archive, Foren und Blogs zeugen davon. Dass dort jetzt ein kritisches Protokoll des Berliner Datenschutzes über die Vorgänge bei der Bahn zu finden ist, ist konsequent und richtig.
Doch Mehdorn empfindet das als Bedrohung - anders ist seine Abmahnung der Blogger von netzpolitik.org nicht zu erklären. Schon wieder stimmen die Verhältnisse nicht. Denn ein Papier, aus dem die Zeitungen der Republik schon seit Tagen zitieren und das gewählten Volksvertretern von staatlichen Datenschützern vorgelegt wurde, kann nicht als Konzerngeheimnis gelten. Das ist keine juristische Frage, sondern eine kulturelle.
Doch genau da zeigt sich wieder einmal ein Defizit des Bahn-Chefs. Wer auf der einen Seite einen rauen Umgangston pflegt, den man ja noch als hemdsärmelige Ehrlichkeit schätzen kann, muss auch sich selbst und eigenen Fehlern gegenüber hart, ehrlich und offen sein. Er muss Kritik einstecken können und sich dem offenen Diskurs stellen. Mehdorn hat mehrmals bewiesen, dass er dazu nicht fähig ist, weder gegenüber seinen Mitarbeitern noch gegenüber den Volksvertretern. Stets tritt er als Patriarch auf, der mit Tunnelblick seine Ziele verfolgt und Kritiker von den Gleisen verjagen will.
Im Falle von netzpolitik.org ist ihm das nicht gelungen. Die Hilfsangebote, die die Blogger bekamen, sind überwältigend. Transparenz und Solidarität stehen gegen Einschüchterung und Vernebelung. Die Zeichen im Internet sollte Mehdorn als Menetekel sehen und begreifen: Seine Zeit ist vorbei.
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