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Kommentar Bio-LebensmittelModerner Ablasshandel

Ingo Arzt
Kommentar von Ingo Arzt

Eigentlich ist es eine großartige Sache, dass Bio im Mainstream angekommen ist. Allerdings sind die staatlichen EU-Biosiegel keine verlässliche Garantie.

M an isst wenig Fleisch und wenn, dann bio. Wer diese Aussage noch nicht ausführlich gesmalltalkt hat, der werfe die erste Ökotomate. In Kreisen gewissenhaft Lebender beschreibt er einen allgemein akzeptierten Mittelweg zwischen gelegentlicher Fleischeslust und moralischem Konsumverhalten. Wer am Dönerstand gesündigt hat, der beichtet es an der nächsten Biomarktkasse mit dem Geldbeutel.

Eigentlich ist es eine großartige Sache, dass Bio im Mainstream angekommen ist. Dass sich die Leute Gedanken darüber machen, was sie essen, und ob sie damit dem Klima schaden, Tiere quälen oder Monokulturen fördern, für die in armen Wüstenländern fossile Wasservorräte geplündert werden. Allerdings: Für all das sind die staatlichen EU-Biosiegel keine Garantie. Was an einem Bio-Apfel aus Neuseeland ökologisch sein soll, das weiß der Herrgott allein. Das EU-Biosiegel ist völlig unzureichend, ein Zusatzgeschäft für Discounter. Für alle, die gedankenlos nach der Siegelware greifen, droht der Bio-Einkauf zum Ablasshandel zu verkümmern. Diese Biobio-Beruhigungspille schläfert ausgerechnet die kritischen Konsumenten ein, dabei wollten sie doch die Welt verändern.

Jetzt warten Wissenschaftler der Universität Stanford mit einer Metastudie zu dem Thema auf. Sie ist seriös und wertet ein breites Spektrum an Publikationen aus. In diesen wurde untersucht, ob Bio gesünder ist als konventioneller Anbau. Das wenig überraschende Ergebnis: höchstwahrscheinlich nicht. Bringt Bio also nichts, weder für die Umwelt noch für den Körper?

Bild: taz
Ingo Arzt

ist Redakteur des taz-Ressorts Wirtschaft und Umwelt.

Mitnichten. Die Studie fasst den Stand der Forschung zusammen und deutet vor allem auf große Wissenslücken hin. Etwa: Wer Bio isst, nimmt weniger Pestizide auf. Wie die Kombination mehrerer solcher Stoffe aber über längere Zeiträume im Körper wirkt – darüber ist zu wenig bekannt. Explizit weisen die Autoren auf mögliche Gefahren für Kinder hin.

Das Ergebnis kann deshalb nur heißen: Erstens braucht es dringend mehr Aufklärung darüber, wie schädlich Agrochemie ist. Zweitens müssen Biosiegel endlich Kriterien wie Tierhaltung, regionale Herkunft und Klimaschutz stärker berücksichtigen. Die kleinen Siegel, die auf zusätzliche Standards setzen, sind viel zu oft Luxusprodukte für Gutbetuchte. Und die ihr täglich Brot bio kaufen: Denn damit fängt kritisches Konsumieren gerade erst an.

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Ingo Arzt
ehem. Wirtschaftsredakteur
Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.
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12 Kommentare

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  • R
    rita

    SchnurzelPu: also nee - Vorurteil über Vorurteil, Bio-Esser müssen nicht zu den Besserverdienenden gehören, die im 200qm Passivhaus wohnen. Und seit wann bewohnen wir in Deutschland Lehmhütten? Ja, das war einmal. Früher wurden viele Häuser in Fachwerk-Bauweise errichtet und mit Lehm verspachtelt. ich bezweifle aber, dass das Heizen auf die damalige Art und Weise, mit Holz und Kohle, so viel weniger Energie verbrauchte als ein modernes Passivhaus. Natürlich gab es damals auch noch weniger Menschen als jetzt und es wurden überhaupt weniger Ressourcen verbraucht. Und woher wollen Sie wissen, wie viel Energie 10 Afrikaner verbrauchen? Ich kann Ihnen sicher 10 Afrikaner vorstellen, die genauso viel Energie verbrauchen wie 10 Deutsche.

     

    Natürlich stimme ich Ihnen zu, wenn Sie sagen, dass wir mit unserer Lebensweise einen großen Teil der Ressourcen der Welt verbrauchen und den größten Teil der Umweltverschmutzung verursachen. Aber dieser Vorwurf muss sich doch nicht gegen die "Ökos" wenden.

     

    Irgendwie ist doch die Diskussion auf dieser Ebene ein bißchen unangebracht, finden Sie nicht auch?

  • S
    SchnurzelPu

    Esse zwar Bio, aber nicht der Gesundheit wegen.Ob damit aber der zukünftige Hunger der Welt gestillt werden kann, wage ich zu bezweifeln, da Bioesser doch zu den Besserverdienenden gehören, die aus dem Alnatura kommend in ihr 200 qm Passivhaus (dessen Herstellung die Energie von 1000 Lehmhütten benötigt) mit dem Fahrrad aus Carbon fahren und deren SMS-Verkehr mehr Energie frisst als zehn Afrikaner verbrauchen.

    Aber es ist halt nicht genug für alle da.

  • FV
    Friedhelm von Mering

    Lieber Ingo Arzt,

     

    bei aller berechtigten Kritik an den (wenigen!) Defiziten im Ökolandbau ist es doch sehr enttäuschend, dass Sie das alberne Pseudo-Argument von den "Luxusprodukten für Gutbetuchte" verbreiten. "atalaya" hat gut beschrieben, dass und warum diese Rechnung nicht stimmt. Meine Erfahrung im eigenen Umfeld: 90 % aller KonsumentInnen haben überhaupt keine Ahnung, wieviel Geld sie für Lebensmittel (oder andere Produkte...) monatlich ausgeben - zumindest bin ich an der Ladenkasse meist der einzige, der seinen Kassenbon mitnimmt...! Gleichzeitig zeigen Studien, dass die meisten Menschen die Höhe ihrer Lebensmittel-Ausgaben systematisch überschätzen. Als einer der wenigen Menschen, die heute noch ein Haushaltsbuch führen, gehe ich jede Wette ein, dass sich Durchschnittsverdiener - wie unsere vierköpfige Familie - einen nahezu hundertprozentigen Bio-Konsum (und zwar von Bioland, Demeter & Co.) "leisten" können. Ob sie sich parallel die Edel-Espressomaschine für 900,- €, den Plasma-TV für 2.000,- €, den "praktischen" SUV oder alle zwei Jahre das neueste iPhone und natürlich die jährlichen Urlaubsreisen für 2.000,- € leisten können, mag eine andere Frage sein, aber ich kann es einfach nicht mehr hören, wenn durchschnittlich oder sogar überdurchschnittlich verdienende Menschen mir mit Tränen in den Augen beschreiben, dass sie sich die "teure" Biomilch für 1,15 € im Bioladen nicht "leisten" können und deshalb zu Aldi gehen "müssen"...

     

    Vor einigen Jahren gab es in der "taz" mal einen Artikel mit dem Titel "Wir rechnen uns arm", in dem eindrucksvoll beschrieben wurde, wie sich die Mittelschicht bei bestimmten Fragen plötzlich als "Sozialfall" darstellt, um sich damit vor ihrer Verantwortung (z. B. zur Zahlung von Steuern, Nutzung des "teuren" Öko-Stroms oder der "teuren" Alternativen zum Billig-Flieger) und insbesondere vor ihrer sozialen Verantwortung gegenüber den TATSÄCHLICH Armen im Land zu drücken. Die Mär von den "Bio-Luxusprodukten" ist ein guter Beleg für dieses bedauerliche Phänomen!

  • D
    D.J.

    "Wie die Kombination mehrerer solcher Stoffe aber über längere Zeiträume im Körper wirkt – darüber ist zu wenig bekannt... Das Ergebnis kann deshalb nur heißen: Erstens braucht es dringend mehr Aufklärung darüber, wie schädlich Agrochemie ist."

     

    Eigentlich ein ganz vernünftiger Artikel. Vorgenanntes Zitat ist freilich so formuliert widersprüchlich. Logischerweise müsste es heißen: "ob und inwieweit Agrochemie schädlich ist."

  • A
    atalaya

    Luxus ist Bio von Demeter, Naturland und Bioland vor allem dann, wenn man sein konventionelles Essverhalten beibehält. Aber mit der Entscheidung für Bio dürfte sich wohl bei den allermeisten Menschen auch das Verhältnis zur Nahrung und den Lebensmitteln ändern, die sie konsumieren.

     

    Aus eigener Erfahrung mit Bio-Produkten kann ich nicht nachvollziehen, was - entsprechend geändertes Ess- und Konsumverhalten vorausgesetzt - an Bio-Ernährung teuer sein soll. Im Gegenteil: gegenüber einer "normalen Ernährung" mit Wurst, Fleisch, Käse, Eier uws. komme ich um einiges preiswerter weg.

     

    Das liegt vor allem daran, dass ich auf Wurst, Käse und Fleisch weitestgehend verzichte, mich überwiegend von saisonalem und - wenn irgend möglich auch - regionalem Gemüse ernähre und kaum irgendwelche Delikatessen kaufe (also: hochpreisige Dinge, die man sich auch selbst machen kann). Wenn der Salat wegen der Kälte des Winters um die 2 EUR kostet, esse ich halt billigen Kohl usw. Mir reicht es auch, Tofu, Butter oder Sesammuß auf's Bio-Brot vom regionalen Bio-Bäcker zu tun. Zudem sind die Preise für Bio-Möhren und einige andere "Grundgemüse" auch das ganze Jahr über nicht besonders hoch. Selbst der Bio-Wein ist oft nicht viel teurer als der konventionelle und kann sogar "preis-werter" sein, wenn man etwa in einer Weingegend wohnt, als die überwiegend schlechten bis mittelmäßigen Angebote im Supermarkt.

     

    Ökos nennt man schon seit den 80ern jene, die sich überwiegend von Müsli, Körnern oder Gemüse ernähren. Dass man auch ein Öko ist, wenn man sich für Essens- und sonstige Konsumsünden freikauft, wie der Autor meint, wage ich zu bezweifeln. Man könnte diese Menschen ja in Anlehnung an den Pudding-Vegetarier, der vom Fleischkonsum abgesehen weitermacht wie bisher, Pudding-Ökos nennen. Ein bisschen Öko oder Vegetarier zu sein, geht indes nach meinem Empfinden ebenso wenig wie ein bisschen Christ oder ein bisschen schwanger zu sein.

  • HS
    Heiner Strunck-Haase

    Erschreckend, wie die taz selbst offenbar der Verlockung des Bio-bashing nicht widerstehen kann. Während in den ausführlicheren Artikeln auf Seite 4 überwiegend eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema erkennbar ist, reduzieren sich die Botschaften auf Seite 1 auf gängige Klischees der Boulevardpresse. Zukünftig heißt es dann: "selbst die taz..." Das man beispielsweise auch gesünder und länger leben könnte, wenn Boden, Wasser und Luft weniger durch industrielle Landwirtschaft belastet würden, hat der Kommentator nicht erkannt. Das mittlerweile jeder halbwegs kopfgesteuerte Konsument Ware aus Übersee grundsätzlich meidet, dürfte ihn überraschen. Das, wer dennoch nicht auf Kiwi verzichten mag, die Möglichkeit hat die wenigstens umweltverträglich hergestellten auszuwählen, hält er für überflüssig. Stattdessen lieber ein Schlag aus der Deckung, in's Gesicht ALLER in der Bio-Branche Tätigen.

    Hätte ich nicht die Möglichkeit, zunächst nur noch den reduzierten ABO-Preis zu zahlen, hätte ich es heute gekündigt.

  • RH
    Regula Heinzelmann

    Oft steckt hinter der Bezeichnung Bio einfach Geschäftemacherei, wofür die Erzeugung von schlechtem Gewissen eine gute Taktik ist. Wenn man wirklich biologisch angebaute Gemüse oder Früchte essen will, besorgt man diese am besten bei einem echten Bio-Bauern, den man persönlich kennt. Übrigens hat „Waage“ recht, die so genannten Energiesparlampen haben eine schlechtere Ökobilanz als Glühbirnen und sind auch so eine Ablass-Mogelpackung. Am besten beleuchtet man das Bio-Essen mit LED.

  • D
    derralle

    der frische Apfel aus Neuseeland mit dem Schiff hierher transportiert hat wahrscheinlich eine bessere Ökobilanz als der regionale (bis wohin geht regional eigentlich) Apfel, der ein halbes Jahr im Kühlhaus lag.

  • V
    vic

    Das EU-Biosiegel taugt rein gar nichts, und ein regionaler Apfel ist allemal einem neuseeländischen Bio-Apfel vorzuziehen.

  • S
    Sebastian

    alles im Prinzip richtig - nur dass gerade der Bio Apfel aus Neuseeland aufgeführt wird ist etwas ärgerlich: Denn gerade bei Äpfeln, die sich Problemlos per Schiff und kaum gekühlt transportieren lassen - ist der Transportweg kaum relevant für die Ökobilanz (bei "Flugobst" sieht das natürlich anders aus).

    Wer etwa im April wirklich einen Apfel kaufen will, ist was die Ökobilanz angeht mit dem Obst aus Argentinien, Chile, oder Neuseeland besser bedient.

  • W
    Waage

    Wer die Möglichkeit hat sollte bei den kleinen Verbänden Bioland, Naturland oder auch den schrägen Steiner Esos von Demeter (die aber seit 80 Jahren für eine amtliche Landwirtschaft stehen) einkaufen. Gutes vom Schwein gibt es von Neuland, deren Rüsseltiere kriegen zwar kein Biogetreide (weil das zu teuer käme) aber auch kein genverändertes Soja und deren Haltungsbedingungen sind wirklich top: großzügige und helle Einstreuställe mit Außenterasse für die kleinen und größeren Mastschweine und sogar Weidegang für die Muttersauen ist vorgeschrieben.

     

    Übrigens: echte Ökos schrauben sich keine Quecksilberbomben in ihre Lampenfassungen (das Auge ißt mit...).

  • G
    GAYAMAN

    Wieso wird diese Stanford Studie als "seriös" bezeichnet? Sie ist fehlerhaft und sehr unvollkommen!

    Und verbleibt- hoffentlich- als ein Beitrag für die gesunde Entwicklung der Bio- Dialektik..... :-) !!!