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Kommentar BildungAufstieg durch Bildung? Keine Chance!

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Laut einer Studie schrecken Gebühren vom Studium ab. Das betrifft aber nicht die Mittelschicht, sondern hauptsächlich Arbeiter- und Migrantenkinder.

W as die Gegner von Studiengebühren schon immer vermutet haben, ist jetzt wissenschaftlich belegt: Gebühren schrecken vom Studium ab. Bis zu 18.000 Abiturienten verzichteten allein im Jahr 2006 darauf, sich nach der Schule an einer Hochschule einzuschreiben, weil ihnen das Studium zu teuer war, hat das Hochschulinformationssystem errechnet. Die Bundesregierung hatte diese Studie in Auftrag gegeben. Doch weil die Ergebnisse nicht ins politische Weltbild von Bildungsministerin Annette Schavan passen und so kurz vor dem großen "Bildungsgipfel" zwischen Bund und Ländern auch nur stören würden, wird die Studie zurückgehalten.

Dieses Verhalten lässt bezweifeln, dass die Union und ihr Personal wirklich gewillt und geeignet sind, die Missstände im Bildungssystem ernsthaft anzupacken. Diesen Eindruck möchte Angela Merkel gerne erwecken. Im Juni erklärte sie Bildung zur Chefsache, zusammen mit den Ministerpräsidenten will sie morgen Konzepte vorlegen. Offiziell bekennt sich die Union zu dem Ziel, dass 40 Prozent der Jugendlichen eines Abiturjahrgangs studieren. Damit wäre Deutschland im internationalen Vergleich zwar noch keineswegs die Bildungsnation Nummer eins, aber immerhin: Es wäre eine Steigerung um 10 Prozent.

Doch um dieses Ziel zu erreichen, müssten neue Schichten fürs Studium gewonnen werden. Kinder von Akademikern streben gewöhnlich ein Studium an; Gebühren kratzen die meisten von ihnen dabei nicht so sehr. Doch die Zöglinge der Mittelschicht sind an den Unis fast unter sich. Wenn die Union es ernst meint mir ihrem Motto "Aufstieg durch Bildung", muss sie sich mehr um die Arbeiter- und Migrantenkinder bemühen. Gerade jene sind es nämlich, die durch Studiengebühren abgeschreckt werden.

Studiengebühren widersprechen deshalb den bildungspolitischen Zielen der Union. Sie passen auch nicht in eine Gesellschaft, die auf Fachkräfte und Wissen setzt. Das Eintrittsgeld zum Campus abzuschaffen wäre ein erster Schritt zu mehr Chancengleichheit. Zugleich sollte man sich den anderen Barrieren zuwenden, die Angehörige unterer Schichten von höherer Bildung abhalten.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.

5 Kommentare

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  • S
    Strübchen

    Es ist typisch, dass Studentinnen wieder einmal nur an sich selber denken, so wie Ludwig Paul Häußner, der ein BGE nur für Studierende fordert. Sofern die Bedingung besteht, dass das BGE für Studentinnen sein soll, ist es nicht mehr bedingungslos, sondern ein bedingter Blödsinn. BGE für alle sollte die Forderung lauten. Und im Übrigen muss ein BGE auch für Kinder dieselbe Höhe haben.

    Strübchen

  • J
    Jengre

    Das ist der gewünschte Effekt von Studiengebühren: Die Kinder der Eliten, egal wie unbegabt und faul, sollen nicht mit intelligenten Schmuddelkindern um die begehrten Jobs kämpfen müssen. Das Risiko, sein Studium nachträglich zu bezahlen, werden nur diejenigen weniger Betuchten eingehen, denen ein Job bei Studienerfolg sicher ist, also die, die sich für einen (Ingenieurs-)Studiengang entscheiden, der von der Wirtschaft stark nachgefragt ist. Da sind dann ausnahmsweise auch die Armen genehm, und mit Stipendien wird es nicht anders gehalten. Mit Fairneß und Gerechtigkeit hat das nichts zu tun. Es wäre viel besser, in jedem Fach Eingangsprüfungen abzuhalten, die Neigung und Begabung zum jeweiligen Fach feststellen. Auch für die Kinder der Eliten. Das würde die Situation der Hochschulen stark verbessern. Deren Finanzierung dagegen ist Gesellschaftsaufgabe.

  • LP
    Ludwig Paul Häußner

    Studiengebühren und Grundeinkommen

     

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    Die taz und Frau Lehmann in allen Ehren - doch auch hier ist nichts Alternatives zu lesen.

     

    Die deutschen Hochschulen sind unterfinanziert. Das ist der eigentliche Skandal - und dieser wurzelt in der jeder Wende, als Helmut Kohl vor 26 Jahren an die Macht gekommen ist.

     

    Damals waren die Konservativen der Meinung es gebe ohnehin schon zu viele Studierende für die begrenzten "Fleischtöpfe". Soll heißen, die Jobs mit Aussicht auf gute Einkommen sollten den Kindern des Bildungsbürgertums vorbehalten bleiben.

     

    Studiengebühren haben den ordnungspolitischen Vorteil, dass Sie die Stellung der Studierenden in Sachen Lehre stärken. Die Hochschulen werdeb dadurch angeregt sich weniger als Behörden zu geben, denn als moderne Dienstleistungseinrichtungen.

     

    Hätten wir ein bedingungsloses Grundeinkommen für Studierende, das auch den Gegebenheiten ihres Studiums ensprechen würde, dann wäre dies so hoch, z. B. 900,-- monatlich, um auch die an für sich sinnvollen Studiengebühren finanzieren zu können.

     

    Mehr dazu in meiner Vorlesung

     

     

    Ludwig Paul Häußner

    Interfakultatives Institut für Entrepreneurship

    Universität Karlsruhe (TH)

  • H
    Humboldt

    OHNE Studiengebühren hatten wir das ungerechteste Bildungssystem der Welt, d.h., wir sind seit Jahrzehnten das Land, in dem der Bildungsstand am meisten mit der sozialen Herkunft zusammenhängt. Mal ehrlich: Daran wollt doch gerade ihr extrem dünkelhaften 68er als gut situierte Eltern oder ihr als deren Kinder nichts wirklich ändern. Die Abwehrpolitik der Etablierten ist eine der Grundlagen der zementierten sozialen Ungerechtigkeit, die nichts mit Studiengebühren zu tun haben und sind das wirkliche Problem. Die Besserverdienendensprösslinge -kombiniert mit Stipendien für sozial Schwächere- nun etwas mehr an den Kosten ihrer Karrieregrundlage zu beteiligen, scheint mir dagegen sehr gerecht.

  • JS
    Jens Schlegel

    Aufstieg nach Bildung? Ich habe es gemacht. Ich habe meinen mittelmäßig bezahlten Beruf der Arbeiterklasse aufgegeben und wurde Lehrer. Jetzt bietet mir das Land folgenden Arbeitsplatz: statt 26 Stunden Deputat 40 Stunden Regelarbeitszeit, kein Beamtenstatus. Dafür eklatant weniger Geld. Im Vergleich zu meinen Kollegen 1400€ im Monat WENIGER, ich komme damit nur 63€ über Hartz IV.

    Als Beamter hätte ich fast 7 Jahre arbeiten müssen um den Unterschied zwischen "Weiterhin im Job bleiben" und studieren durch Mehrverdienst wieder auszugleichen. Nach 7 Jahren hätte sich mein Studium also bezahlt gemacht. Jetzt werde ich das in 100 Jahren nicht erreichen. Voller Verlust...