Kommentar Berliner NSU-Skandal: Der Zufall wird System
Auch in Berlin sind Akten zum NSU verschwunden. Wie das passieren konnte, wird erst mal schlüssig beantwortet. Fragen wirft das trotzdem auf.
B isher konnte man sich bei den Berliner Sicherheitsbehörden entspannt zurücklehnen, denn bislang gab es keine Spur des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in die Hauptstadt. Das hat sich nun geändert.
Der NSU-Skandal hat das Berliner Landeskriminalamt (LKA) erreicht, und seit Donnerstag gehört bei der dortigen Polizeiführung ein betretenes Gesicht zur Arbeitskleidung. Nachdem der Bundestagsuntersuchungsausschuss zufällig einen Hinweis der Generalbundesanwaltschaft auf Berlin gefunden hatte, fand man im Aktenkeller des LKA auch die entsprechende Akte dazu.
Nachdem er quer durch die bundesdeutschen Sicherheitsbehörden bereits für Furore gesorgt hat, macht der Zufall jetzt also auch in Berlin Überstunden. Allerdings gehört es zur Natur des Zufalls, dass er bei auffälliger Häufung leicht zum System mutiert.
Unter einem gänzlich anderen Vorgang sei die Akte abgelegt worden, heißt es. Nur wieder aufgefunden, weil ein V-Mann-Führer des Polizeilichen Staatsschutzes das Gesicht eines der beschuldigten NSU-Unterstützer als das des ehemaligen Informanten Thomas S. wiedererkannte. So dünn soll der Vorgang, dem Vernehmen nach, zudem sein, dass jeder Zeichenblock dagegen dick erscheinen würde. Auch der Spitzellohn, der über all die Jahre gezahlt wurde, soll sich lediglich im niedrigen dreistelligen Bereich bewegen. Und von Thomas S. bereits eingestandener Sprengstofflieferung an die rechten NSU-Terroristen wussten die Berliner nichts.
So weit klingt alles wie in dieser Affäre schon oft gehört und damit hinlänglich bekannt. Bis zum Beweis des Gegenteils klingt es diesem Falle sogar erst einmal glaubhaft. Alle seinerzeit potenziell Verantwortlichen sind längst im Ruhestand. Für Demissionsforderungen bestehe kein Anlass, meint denn auch die amtierende Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers und hat zunächst einmal recht.
ist freier Journalist in Berlin.
Einige andere Fragen muss sich die Polizei in jedem Falle gefallen lassen und auch selbst möglichst rasch stellen und beantworten. Etwa die, warum man einen V-Mann über gute zehn Jahre behalten hat, wenn seine Informationen kaum das knauserige Geld wert waren, das er erhalten haben soll? Oder jene, warum beim Staatsschutz niemals aufgefallen ist, dass Thomas S. noch ein geheimeres bombiges Leben neben der Behörde führte? Wurde er etwa nicht in unregelmäßigen Abständen observiert, um seine Glaubwürdigkeit zu prüfen – wie dies in ähnlichen Fällen nicht unüblich ist? Und was wusste der Berliner Verfassungsschutz über die polizeiliche Verbindung zu Thomas S.? Wurde er informiert? Oder unterhielt er eventuell eigene Kontakte zu dem Rechtsextremisten? Und wenn ja, welche?
Es bleiben nun auch in Berlin etliche Fragen zu klären, weitere könnten dazukommen. Und es wäre besser, dabei schneller als der Zufall zu sein.
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