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Kommentar Bedrohte TierartenDie Lonesome-George-Formel

Ingo Arzt
Ingo Arzt
Kommentar von Ingo Arzt und Ingo Arzt

Der einsame George hat Potenzial: Der Tod der letzten Pinta-Schildkröte des Planeten gemahnt, dass der Erhalt der Lebensgrundlagen Dringlichkeit hat.

L onesome George funktioniert. Am Sonntag starb die letzte Pinta-Schildkröte des Planeten in ihrer Zuchtstation auf den Galapagosinseln. Emotional tief bewegt zeigt sich darüber eine ganz andere Klasse von Landwirbeltieren, der Homo sapiens. George ist eben einer von uns.

Sein Blick weise und melancholisch wie der eines alten Philosophen, der über die Vergänglichkeit alles Irdischen nachdenkt. Sex war auch ein Thema, klappte nicht mehr so. George war der Gandhi unter den bedrohten Tierarten, ein vegetarischer Pazifist.

Das ist tatsächlich vermenschlichender Kitsch. Aber auch ohne Kindchen-Reaktionsschema sind George und die Galapagosinseln eine globale Metapher. Hier entwickelte Darwin seine Theorie, die den Menschen von der Krone der Schöpfung zu einem zufälligen Protagonisten evolutionärer Spielchen degradierte. Eine vermutlich vernunftbegabte Primatenart ohne Fell, die anhand von Georges Heimatinseln vorgeführt bekommt, was es auf dem Globus zu erhalten gilt. Stattdessen zerstören wir den Planeten mit einer Wucht, wie es erdgeschichtlich gesehen nur Kometen oder plötzliche Klimaumschwünge schaffen.

Bild: taz
Ingo Arzt

ist Redakteur im taz-Ressort Ökologie und Wirtschaft.

Derzeit sterben so viele Arten aus, es gibt täglich Dutzende Lonesome Georges – nur sind sie nicht so süß. Nun ist es genau dieses Süßfinden, das den Menschen einzigartig macht. Empathie nicht nur gegenüber Artgenossen, sondern auch gegenüber so etwas Schrulligem wie einer einsamen Schildkröte. Eigentlich ein gutes Zeichen, dass nicht nur George „funktioniert“, um im Mediensprech einer guten Story zu bleiben.

Wahrscheinlich gibt es einen emotionalen Code, der über kulturelle Barrieren hinweg funktioniert: Tiere ausrotten ist nicht gut. Natur zerstören auch nicht. Neben das Gefühlige gesellt sich ein banales, simples, tausendfach vorgetragenes Argument: Natur kaputtmachen heißt, unsere eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören. Stellt sich die Frage, die einen verzweifeln lässt: Warum bringen wir die Sachen nicht einfach in Ordnung?

Es kann doch, ganz naiv gesprochen, nicht so schwer sein, einen umfassenden, globalen Rahmen zum Erhalt natürlicher Lebensgrundlagen zu schaffen, eine Sache, die logisch wie emotional jedem Erdenbürger einleuchten dürfte. Zumindest zeigt der einsame George, dass es das Potenzial zu dieser Erkenntnis gibt.

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Ingo Arzt
ehem. Wirtschaftsredakteur
Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.
Ingo Arzt
ehem. Wirtschaftsredakteur
Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.
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10 Kommentare

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  • D
    Doris

    Ja, da könnte man wohl dran arbeiten - aber auf die Jeans, die den Hersteller 4,30 kosten pro Stück in China und deren Kaliumpermanganat-Blau die Flüsse, Böden (und ArbeiterInnen!) vergiftet, verzichten? Käuferstreik? Konsumminderung? Ich ohne Jeans? Also nee...dann leider lieber durch bis zur Nulllinie.. Bitter.

     

    1kg Tomaten aus Spanien im Billigsupermarkt verbrauchten 180l Wasser. Tomaten nur noch im Sommer? Also, hm.... Im Winter lieber Kürbis und Wurzelgemüse und Kohl? Ne, weil das wärmt ja auch... Lieber Zitrusfrüchte, die perfekt für Hitzezustände sind, weil sie kühlend wirken.. Es gibt ja Grippemittel...

     

    Also, man muss wirklich sehr zusammenhängend schauen - leider weiß ich nicht, wie das derzeit gehen sollte..

    Danke trotzdem für den Artikel!

  • E
    eva

    Sie haben Recht, deviant.

     

    Beim Fressen hört das Mitleid ganz schnell auf - lonesome George gut und schön, aber wer will deshalb auf sein Schnitzel etc. verzichten? Und hat Mitleid mit vergasten Eintagsküken, zu Tode gemolkenen Milchkühen und lebend abgebrühten Schweinen?

     

    Mit unserem mitleidlosen, gedankenlosen Umgang mit den Tieren in unserer Nähe, für deren Aufzucht wir Lebensmittel und Wasser aus der ganzen Welt brauchen, mit unserem schrankenlosen Konsum zerstören wir undere Welt nachhaltig.

     

    Eine fleischlose oder am besten vegane Lebensweise ist der einfachste Weg, den ökologischen Fußabdruck massiv und ohne Verlust an Lebensqualität zu verkleinern. Fleischessen gehört in die Steinzeit, vegan ist Zukunft.

     

    Gleichzeitig bekämpft man damit Wassermangel und Nahrungsmangel nachhaltig. Und rettet Tieren das Leben - auch noch niedlicheren als Lonesome George.

  • E
    Encantada

    *schluchz, kreisch, tob*

     

    George ist tot, wie schrecklich, schrecklich, doppel-schrecklich!

     

    Huhuhhh. Und ich weiß es genau: der wollte gar keine andere Frau, weil aus seiner ersten großen Liebe von früher von den bösen Seefahreren lecker Suppe gemacht worden ist. Und unser George, die gute Seele, wollte nie wieder eine andere. Ein Leben lang ist er ihr treu geblieben und hat sich einen Dreck um Arterhaltung gekümmert. Wahre Liebe!

     

    Was für eine rührende Schildkröten-Lovestory.

     

    Im Schildkrötenhimmel sind sie jetzt sicher glücklich wieder vereint... nach so langer Zeit. huhuhuhhh *heul und jammer*...

    Sein Fanclub hier auf Erden, der ist jetzt auch lonesome. Und wie!

  • P
    Piet

    Rabäh! Buhuh!

    Schildkröte putt!

  • V
    vic

    Heute die Pinta Schildkröte, gestern unbekannt und morgen auch.

    Es geht schon lange so und es geht so weiter.

  • R
    reblek

    "Aber auch ohne Kindchen-Reaktionsschema sind George und die Galapagosinseln eine globale Metapher. Hier entwickelte Darwin seine Theorie..." - Da der Autor beim Schreiben sicher nicht auf den Inseln gesessen hat, sind diese für ihn - wie für die Leser(innen) wohl nicht "hier", sondern eher "dort".

  • B
    Branko

    Sorry, wenn ich da ernüchternd alle Hoffnungen nehme:

     

    Aber wir haben einen Umweltminister, der vom Gipfel in Rio zurückkommt, und froh darüber ist, dass die Notwendigkeit über Umweltschutz langsam beginnt ins Bewusstsein zu rücken - womit er vermutlich bestenfalls seine eigene Partei meint. Wahrscheinlich keimt diese Bewusstseinsdämmerung aber höchstens nur bei ihm selbst.

    Schließlich kennen er und seine wirtschaftshörigen Konsorten nur eine Antwort auf 'diese Ökospinner': Wasserwerfereinsatz unter herablassendem Besserwissergrinsen.

     

    Seit Neuestem ist sogar auch hier in der taz viel Präsenz dieses Ablasshandelsvereins WWF zu sehen, einer Gutmenschdarstellungsplatform für Promis, die ihre Energie in Zoos und Zuchtstationen steckt, statt der Erhaltung von Lebensräumen und das Arterhaltung nennt, was Spendern ein ruhiges Gewissen gibt.

     

    Unsere Konsumisten befinden sich derzeitig im EM-Taumel und werden sich danach wieder ihrer Angst um den Euro und vor dem Islam widmen und werden - so mein Tipp - ohnehin von diesen bewusstseinserweiterten Scheibenweltpolitikern nach und nach wieder zum Einschalten der KKW herangeführt werden (wegen dem Umweltschutz).

     

    Und für Amerika oder Asien wäre Lonsesome George ohnehin nur eine Suppeneinlage gewesen.

  • CF
    Cornelia Fleschke

    wohl wahr, aber: siehe Rio! Da gehen alle auseinander ohne Ergebnis, schütteln bedenkenträgerisch die Köpfe, und die Nummer geht weiter wie bisher!

  • T
    T.V.

    Süß finden kann man halt auch den netten Nazi von nebenan mit dem hübschen Tattoo. Politikgedöns ignoriert man dann einfach. Klappt bei George ja auch, so relativ gesehen.

    Absurdität ist menschlich, die Gegensätzlichkeit ihrer Handlungen oder ihres Handeln und Denkens wird manchen Menschen vermutlich nie bewusst.

  • D
    deviant

    "Empathie nicht nur gegenüber Artgenossen, sondern auch gegenüber so etwas Schrulligem wie einer einsamen Schildkröte."

     

    Empirischer Gegenbeweis gefällig? Hunderttausende Schweine, Kühe, Millionen Hähne, die bereits in den ersten Stunden ihres Lebens für "unwertes Leben" befunden werden, Millionen derer Schwestern und Mutter, die nach einer Gnadenfrist in Fettleibigkeit "geerntet" werden, Millionen und Abermillionen Fische, die oft nur als Möwen- und Fischfutter direkt zurück ins Meer geworfen werden oder wiederum auf den Tischen der "Tierfreunde" landen, die hier um eine Schildkröte weinen, oder einen Eisbären im Berliner Zoo bepilgern...ganz zu schweigen natürlich von denjenigen Tieren, die aus dem Supermarktregal direkt in die Tonne wandern oder auch von denjenigen, die einem organisierten Massenmord zum Opfer fallen, weil mal wieder eines der Tiere durch die krankmachende Nähe zu den Artgenossen an irgendeiner Seuche krepiert ist.

     

    Da hat sich das mit der Empathie dann schnell erledigt, wenn das Gammelfleisch auf dem Grill (Hobby!) brutzelt und all das hineingespritzte Wasser verdampft, oder die unverdaulichen Fleischreste gehäckselt im Eigendarm in der Pfanne verschmoren.