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Kommentar Aussetzung der WehrpflichtDas geräuschlose Ende der Wehrpflicht

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Abschaffung der Wehrpflicht zeigt, wie die Konsensdemokratie tickt: Den Sozialstaat kann nur die SPD schleifen - die Wehrpflicht nur ein Konservativer entsorgen.

D ie Wehrpflicht war in der Bundesrepublik immer mehr als ein Mittel, die Kasernen zu füllen. Sie sollte symbolisieren, dass die Bundeswehr etwas völlig anderes war als die Reichswehr. Kein Staat im Staat, sondern eine Bürgerarmee. Jahrzehntelang haben Union und auch die SPD die Wehrpflicht zu einem unentbehrlichen Stützpfeiler der Demokratie überhöht. Sie gehörte zur Republik wie die D-Mark. Jetzt wird sie abgeschafft - und niemand stört es.

Das hat Gründe. Hätte eine Mitte-links-Regierung das gewagt, wären die üblichen Verdächtigen in Union und Springer Verlag sofort auf die Barrikaden gegangen. Die Abschaffung der Wehrpflicht zeigt insofern, wie die Konsensdemokratie tickt: Den Sozialstaat kann nur die SPD schleifen - die Wehrpflicht nur ein schneidiger Jungkonservativer wie zu Guttenberg entsorgen.

Dass diese Reform so geräuscharm über die Bühne geht, hat auch mit der typisch bundesrepublikanischen skeptischen Indifferenz gegenüber allem Militärischen zu tun. Man möchte damit am liebsten einfach nichts zu tun haben. Das ist eine schräge Art historischen Lernens, ein fernes Echo der Verheerung des Zweiten Weltkriegs. Zudem wissen alle, dass die Wehrpflicht schon lange nur noch eine Fassade war.

Bild: taz
STEFAN REINECKE

STEFAN REINECKE arbeitet im Parlamentsbüro der taz.

Im Jahr 2010 wurden nur noch knapp 60.000 Rekruten gezogen - fast ein Viertel im Vergleich zu zwanzig Jahren zuvor. Die Bundeswehr, die de facto längst eine Berufsarmee ist, braucht schlicht keine Wehrpflichtigen mehr. Wenn man die bundesrepublikanische Mythologie also mal beiseite lässt, ist diese Reform nichts als eine späte Anpassung an europäische Normalität. In der Ära der Hightechwaffen ist die Massenarmee aus Wehrpflichtigen ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert.

Und jetzt? Die Wehrpflicht hat als Begründung für die Bundeswehr ausgedient. Die Frage, die sich aufdrängen wird, lautet: Wofür braucht man in Zeiten leerer Kassen eine große, teure Armee? Zu Guttenberg hat diese Reform als Wundertüte verkauft. Die Bundeswehr wird, so sein widersprüchliches Versprechen, billiger und effektiver im Ausland einsetzbar.

Das stimmt nicht. Die Bundeswehr wird, konzipiert als 185.000 Mann starke Berufsarmee, erst mal teurer. Und der Rückzug aus dem gescheiterten Afghanistan-Einsatz ist nur eine Frage der Zeit. Das ist ein Problem für Guttenberg. Aber keine schlechte Aussicht für eine zivilere Außenpolitik.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

10 Kommentare

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  • Z1
    Zivi 1984

    Erstaunlich : Theodor zu Guttenberg schleift als CSU-Minister die Wehrpflicht. Es gibt dafür keinen Zapfenstreich und die Linke jubelt nicht einmal. Gleichzeitig wird eine Tapferkeitsmedaille für die Soldaten eingeführt (TAZ-Bericht) und es stehen 4000 deutsche Soldaten am Hindukusch/Afghanistan um Deutschland zu verteidigen(Peter Stuck). Sogar die Kanzlerin redet jetzt von Krieg. Inzwischen wird munter über den Einsatz der Bundeswehr im Inland debattiert. Es erinnert ein wenig an Reichswehr und Freikorps. Als ich meinen Zivildienst 1984 antrat war das undenkbar.

  • B
    Bert

    Abgeschafft? Soweit ich informiert bin wird die nur ausgesetzt.

  • JR
    Jan Reyberg

    Ja, die Konsenzdemokratie...

     

    Gibt es auch anderswo. In der Wissenschaft sieht das so aus:

    "Why does it take a Noxon to g to China?"

    http://www.econ.ucla.edu/workingpapers/wp728.pdf

  • YY
    Yves Yaltenbrucker

    Was der Kommentator anspricht, ist das "Verkehrte-Welt"-Phänomen der Politik. Dieses illustriert der große Joseph von Westphalen in mehreren seiner Kurzgeschichten, Glossen und Romane - wenn man genau darüber nachdenkt, muß man ja Satiriker werden ;-)

  • H
    hto

    Der Zivildienst wird durch eine weitere "Job-Offensive" im Kreis des Heeres der Arbeitslosen kompensiert - Geld für Berufsarmeen ist immer dar.

  • CT
    Charlie Triebenbach

    Eine Berufsarmee wird effektiver und um vieles teurer. Das stimmt! Bei einer Staatsverschuldung von 1,7 Billionen Euro und keinerlei Bedrohung von außen muss es doch andere Gründe dafür geben, dass eine Armee effektiver werden soll. Berufssoldaten haben sich entschieden freiwillig den Beruf des Soldaten zu ergreifen. Ein Job wie er nicht mit anderen Berufen vergleichbar ist. Denn der Soldat wird zum Töten auf Staatsbefehl ausgebildet. Eine Berufsarmee kann viel leichter überall hingeschickt - und auch im Innern eingeetzt werden. Berufssoldaten sind Menschen, die sich mit voller Absicht dafür entschieden haben, einen Beruf zu wählen, in dem man das Handwerk des Tötens erlernt und auf Befehl handeln, egal wie er lautet.

    Die Verbundenheit des Herrn zu Guttenbergs zu Amerika kann man auf Wikipedia nachlesen. Die Aussenpolitik Amerikas ist für jedermann offensichtlich. Es wird Zeit, dass sich die TAZ mit der Person zu Guttenberg mal intensiver befasst.

  • AN
    Arno Nym

    Und wieder kein Wort über den Zivildienst.

  • AM
    Andreas Moser

    Und dabei war die Wehrpflicht in den letzten Jahren doch sowieso zum Witz verkommen

  • M
    Mirko

    "In der Ära der Hightechwaffen ist die Massenarmee aus Wehrpflichtigen ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert."

     

    20.Jahrhundert.

     

    Ansonsten ein schöner Kommentar. Nun muss man nur noch die Bundeswehr auflösen, die Rüstungsbetriebe enteignen und abwickeln, dann hätte Deutschland endlich einmal etwas aus seiner Vergangenheit gelernt, und würde dann auch die Mehrheitliche Meinung seiner Bürger widerspiegeln. Man kann nur hoffen.

  • H
    hto

    Berufsoldaten - "Wer soll das bezahlen?" - sie werden wahrscheinlich schon einen ganz bestimmten Profit produzieren, aber bezahlen, besonders mit dem Leben, wird verstärkt die geräuschlose Masse, der Steuerzahler des "gesunden" Konkurrenzdenkens im "freiheitlichen" Wettbewerb um ...