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Kommentar Ausschreitungen in LondonLondon calling

Ralf Sotscheck
Kommentar von Ralf Sotscheck

Das arrogante Verhalten und die Lügen der Polizei in London haben zur Wut der Anwohner beigetragen. Die Ereignisse erinnern sehr an einen ähnlichen Fall von 1985.

D ie Parallelen sind offensichtlich: 1985 wurden die Unruhen in Broadwater Farm, einer Siedlung im Londoner Stadtteil Tottenham, durch den Tod einer Anwohnerin ausgelöst, die unter nicht geklärten Umständen bei einer Polizeirazzia starb. Die Krawalle am Wochenende begannen, nachdem die Polizei am Donnerstag Mark Duggan, der auch in Broadwater Farm wohnte, erschossen hatte.

Er habe zuerst geschossen, ließ die Polizei umgehend verlauten. Dass man diese Nachricht in Tottenham mit Skepsis aufnahm, hat sich die Polizei selbst zuzuschreiben.

Zu oft haben sich die Behauptungen der Beamten als Lügen herausgestellt – sei es im Fall des Brasilianers Jean Charles de Menezes, der 2005 nach den Bombenanschlägen in London erschossen wurde und daran selbst schuld gewesen sein soll, weil er sich verdächtig benommen habe; sei es im Fall des Zeitungsverkäufers Ian Tomlinson, der 2009 bei der Demonstration gegen den G-20-Gipfel starb. Damals konstruierte Scotland Yard eine Attacke von Demonstranten auf die Beamten, die dem angeblich betrunkenen Tomlinson Hilfe leisten wollten.

Bild: Derek Speirs
RALF SOTSCHEK

ist taz-Korrespondent für Großbritannien und Irland. Er lebt und arbeitet in Dublin.

Als am Wochenende durchsickerte, dass Mark Duggan gar nicht geschossen hatte, sondern dass die Kugel, die im Funkgerät eines Polizisten stecken blieb, aus einer Polizeiwaffe stammte, waren die Krawalle vorprogrammiert. Nachdem die Beamten dann Duggans Angehörige, die wie die Familie der 1985 ums Leben gekommenen Frau vor dem Polizeirevier in Tottenham auf Erklärungen warteten, schlichtweg ignorierte, eskalierte die Situation.

Das ist keine Entschuldigung für abgefackelte Fahrzeuge und Plünderungen, aber es ist ein Zeichen der Desillusionierung in benachteiligten Vierteln wie Tottenham, wo die Ausgaben für Einrichtungen für Jugendliche im Zuge der Sparmaßnahmen in diesem Jahr um 75 Prozent gekürzt worden sind.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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14 Kommentare

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  • TS
    Thomas Sch.

    Liebe Christine,

    Sie mögen ja mit allem was Sie sagen rechthaben, aber was wollen Sie uns damit sagen ? Daß es gerechtfertigt ist, dem kleinen Frisörladen von nebenan die (höchstwahrscheinlich nicht versicherte)Scheibe zu zerkloppen? Oder dem Fensehshop der Inder die Flachbildfernseher zu stehlen ? Den zwanzig Jahre alten Opel Corsa einer Krankenschwester anzuzünden ? Wenn Sie hier irgendwie Verständnis ausdrücken wollen, liebe Christine, dann müssen Sie bitteschön aber auch hier über die Folgen dieser Gewaltausbrüche reden und nicht nur gebildet über irgendwelche sozialen Ursachen räsonieren. Es ist eine Sache, benachteiligt zu sein, eine andere, Unbeteilgte einfach aus Wut zu schlagen.

  • C
    Christine

    In Großbritannien gab es die schlimmsten Kürzungen der Staatsausgaben seit dem 2. Weltkrieg.

    - Kindergeld für "reiche" Einkommensverdiener gekürzt

    - "Ausbildungsbeihilfe" für Oberstufenschüler gekürzt

    - Studiengebühren verdreifacht

    - Schulen privatisiert = werden teurer

    - kommunale Einrichtungen gekürzt (Sprachkurse, Sporthallen f. Vereine usw.)

    - Mehrwertsteuererhöhung ohne Ausgleich bei Steuergrenzen oder Sozialhilfe = trifft Arme besonders hart

    - Behinderten-Sozialrenten gestrichen: die Tories haben den Menschen, die diese Sozialrenten seit Jahrzehnten wegen einer Behinderung beziehen, erstmal die Rente gekürzt und ihnen gesagt, sie müssten nochmal zum Arzt gehen und sich untersuchen lassen, ob sie wirklich behindert seien. Stellen Sie sich vor, sie schicken einen Einbeinigen zum Arzt, um bestätigen zu lassen, dass dieser wirklich nur 1 Bein hat und daher Anspruch auf ein bischen Staatsbeihilfen z.B. für Prothesen hat.

     

    Gleichzeitig sehen die Menschen, dass Geld da ist, um den Reichen die Steuern zu kürzen. Man sieht, dass die Bankenreform in GB nicht wirklich angegangen wird. Man sieht, dass das britische Gesundheitssystem von den Tories einfach nur noch ausgeschlachtet und privatisiert werden soll, dabei ist das jetzt schon wesentlich schlimmer als das deutsche. So haben die Tories die Garantie, dass Patienten nicht zu lange auf einen Termin bei einem Facharzt warten müssen, wieder abgeschafft. Früher, unter Thatcher und danach, dauerte es gerne mal 6-12 Monate, bis man einen Termin bei einem Spezialisten bekam. Erst Labour hatte das Problem gelöst, indem sie schlicht festgelegt hatten, dass z.B. ein Patient ein Recht auf einen Krebstest innerhalb von 2 Wochen ab Besuch beim Allgemeinarzt hat.

     

    Dazu kommt noch, dass die Tories das Wirtschaftswachstum abgewürgt haben. Unter Labour wurde die Finanzkrise durchschritten, Labour schaffte es tatsächlich, ein Wirtschaftswachstum von ca. 1,5% nach der Finanzkrise anzukurbeln. Die Tories haben das durch ihre Kürzungen abgewürgt. Zum Beispiel haben die Tories ein Programm gestrichen, dass kontinuierlich Schulen repariert und ggf. neu baut. Also, wo der Putz von den Wänden bröckelte oder Dächer nicht dicht waren, dort schuf dieses Programm Abhilfe. Macht ja auch Sinn, Schulgebäude zu erhalten, wenn darin Schüler unterrichtet werden sollen. Dieses Programm wurde von den Tories ersatzlos gestrichen, d.h. notwendige Reparaturen an britischen Schulen werden nicht ausgeführt. Dafür sollen Schulen neu gebaut werden in Partnerschaft mit Unternehmen und Spendern aus der Privatwirtschaft. Diese Schulen entsprechen aber keinen modernen Standards, weder in Bezug auf Heizung, Isolierung oder Sanitäranlagen, noch in Bezug auf Gebäudeplanung. So hat ein privater Wohltäter mit ein bischen eigenem und einem großen Anteil öffentlichen Geldes eine Schule gebaut, die den Umriss eines fünfzackigen Sterns hat (Have_lock Ac_ad_emy Ro_ss). Zufällig ist das Pictogramm des Familienunternehmens ebenfalls ein fünfzackiger Stern.

    Haben Sie schonmal so ein Schulgebäude gesehen? Schulgebäude sind normalerweise immer irgendwie rechteckig, weil Klassenräume ja auch rechteckig sind.

    Dazu kommt dann auch noch die Murdoch-Geschichte, bei der jeder das Gefühl hat, die britische Regierung wollte eigentlich garnichts gegen Murdoch unternehmen.

     

    Kein Wunder also, dass die Leute sauer sind.

  • H
    holkan

    Ein Zeichen von Desillusionierung sei es , das Abfackeln von Stadtteilen. Welches kranke Hirn legt Stadtviertel in Schutt und Asche, weil es desillusioniert ist? Mit welchem Recht werden hier Menschenleben aufs Spiel gesetzt, weil irgendjemand desillusioniert ist? Rechtfertigt eine Desillusionierung gar den Mord an meiner Scheißnachbarin? Reicht Desillusionierung auch zur Erklärung anderer Gräueltaten wie Vergewaltigung und Folter? Kann Desillusionierung strafmindernd wirken? Ist Desillusionierung auch als Krankheit anerkannt?

  • F
    Fawkes

    Das Ganze hat- soweit ich es überblicke- mehrere Gründe.

    Zunächst: Viele Menschen mit verschiedenen, teilweise unvereinbaren kulturellen Hintergründen hocken auf engstem Raum aufeinander. Einige Einwanderer können sich mit der britischen Gesellschaft überhaupt nicht identiffizieren, zudem treffen in London durch die allzu laxen Einwanderungsbestimmungen der letzten Regierungen auch immer wieder Angehörige von verfeindeten Kulturen aufeinander (Inder vs. Pakistanis, Türken vs. Kurden, christliche Nigerianer vs. muslimische Nigerianer, Muslime vs. alle anderen....) Gleichzeitig ist die britische Regierung zum Sparen gezwungen- also sehen sich gerade all jene ohne eigenes Erwerbseinkommen in ihrer wirtschaftichen Existenz bedroht. Dies gilt für etnische Briten und Zuwanderer gleichermaßen. Dies führt zu einer angespannten Situation. Wenn dann noch irgendetwas passiert- ein Polizist erschießt aus noch ungeklärten Gründen einen Menschen- dann explodiert die Situation. Gegenmittel: Anstatt immer wieder nur die Interessen der Banker, Fondsmannager und Spekulanten im Auge zu haben auch mal um die Sorgen der kleinen Leute kümmern. Nicht immer nur bei den Armen sparen. Banken sind zwar tatsächlich systemrelevant, lassen sich aber zur Not verstaatlichen. Ich bin zwar strikt gegen Enteignungen, aber die Banker haben ihr Vermögen selbst verzockt und damit ihre Rechte an ihrem ehemaligen Besitz nach den Gesetzen des Marktes verloren. Sie haben Pleite gemacht- und genau wie jeder kleine Ladeninhaber sollten sie ihre Geschäfte verlieren können. Außerdem: Verhinderung der Einwanderung von Menschen, die nicht zu einer offenen Gesellschaft passen. (Traditionelle Muslime bekommen in einer offenen Gesellschaft mit den dort vorherschenden Freiheiten und Freizügigkeiten fast zwangsläufig in Konflikt) Und auch wenn ihr von der TAZ Redaktion es nicht gerne hört- meines Erachtens ist es wichtig, den Anpassungsdrucks für Migranten zu erhöhen.

  • T
    T.V.

    ..und Cameron schiesst zurück. Erinnert ein wenig an den 2ten Weltkrieg, um mal Godwins Law wieder zu bestätigen.

     

    Meine Sympathien liegen jedenfall auf Seiten der "Randalierer" und "Verbrecher", auch wenn einiges schiefläuft. Die "Sicherheitskräfte" die für "Ordnung" auf der anderen Seite sorgen (so man denn von zwei Fronten reden kann), mit ihrem jahrelangen subtilen Terror, haben es scheint's herausgefordert. Ist auch sicherlich nur Zufall, daß das Opfer ein Mensch mit nicht weißer Hautfarbe ist, gell?

  • K
    Krische

    Warum schreiben hier eigentlich so viele gelangweilte Stammtischschwätzer und "das wird man ja wohl noch sagen dürfen" Fremdenfeindliche wieder so viel Schwachsinn?

     

    Sind wieder einmal die bösen schwulen kommunistischen Negerjudenmigranten Schuld am Untergang des ach so zivilisierten Abendlandes, weil weiße Europäer ja alle ein geregeltes Einkommen haben, fleißig sind und keiner Fliege was zu leide tun?

     

    Da kriegt man ja das kalte Kotzen, wenn man diesen ganzen rassistischen Müll in den Kommentaren liest!

  • HW
    Horst Werner

    Das kommt davon,wenn jungen Menschen die Zukunft und Entwicklungschancen genommen werden,wenn die Reichen und Etablierten raffgierig alles für sich beanspruchen.Und wenn bei der Polizei rassistische Motive im Vordergrund stehen.

    Offensicht sind auch Banditen unterwegs,die plündern und brandschatzen.

    Es fehlt an politischem Bewußtsein, woher soll es auch kommen?

    In der Unterschicht liest kaum jemand politische Bücher und Zeitschriften,die Parteienvertreter erreichen die Leute nicht mehr; Lehrer und Sozialarbeiter sind mit anderen Aufgaben beschäftigt,als politisches Bewußtsein zu bilden.

  • C
    cyctologie

    double post/edit

     

    bei twitter gibt es diesen link:

    http://worldblog.msnbc.msn.com/_news/2011/08/07/7292281-the-sad-truth-behind-london-riot

     

    er beschreibt ein friedliche demonstration von 2000 einwanderern vor dem hauotquartier von scotland yard die nichtmal in der presse erwähnt wurde und setz diese in zusammenhang mit den jetzt gewalttätigen protesten.

     

    und nen link zu thema: "osten/nazis - eben das ganz normale leben" aus meiner heimat gazette "Märkische Allgemeine Zeitung":

    http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/12145132/61009/Zur-Kanu-WM-wohnten-fuenf-Nationen-im-Haus.html

  • RR
    Rolf Richard

    An Wolf: Ihr Hass auf Fremde ist stärker als die eigene Vernunft. Die Arroganz der Londoner Polizei ist bekannt, vor allem gegen Arbeitslose und den Menschen am Rand der Gesellschaft.

  • M
    marti

    @ wolf: Sicherlich werden sich die "anderen" vom Migrantentum "reinen" (aber auch verarmeten) Jugendlichen in den Gangs auf grund ihrer kulturellen und oder "rassischen" "Reinheit" nicht an den Auschreitungen beteiligt haben und schmollend zuhause vor ihren Röhren TVs hocken während sich ihre Kumpels ein paar schöne Flachbildschirme in den Sozialbau schleppen...

  • TS
    Thomas Sch.

    Ich schätze mal, daß der TAZ die unterschwellig geäußerte Sympathie für die sog. Umverteilung des Wohlstandes in Britannien erst dann abhandenkommt, wenn hier und vor Ort das Verlagsgebäude angefackelt wird und die Redakteure eins über die Mütze bekommen. Dann sind es aber vermutlich sofort Rechtradikalinskis, die ganz ganz pöse sind. Die Frage, wer da in Britanninen dieses Chaos ausgelöst hat, stellt sich natürlich nur der ganz dumme Bürger, oder ? Die Art und Weise, wie das da passiert; ist das nicht zufällig dieselbe wie in den südlichen Ländern am Mittelmeer ? Ja ? Nein ?

  • G
    Goldfalter

    Der Kommentator vergiesst, eine völlig verfehlte Einwanderungspolitik zu erwähnen.

    Bürgerkriegsähnliche Zustände wird es sicherlich in einigen Jahren auch hier geben. Dann können wieder kluge Kommentatoren ihren Senf dazugeben.

    Aber bloss keine wirkliche Kritik an Randalierer üben, dass kann man sich als Linker nicht erlauben....

  • A
    Alex

    Diese Art der "Verluste" stehen uns auch bevor.

     

    Da die Staatsmacht auf immer härtere Konfrontationskurse fährt und dazu Elite Kräfte für CRC ver-/ ausleiht um Kräfte zu bündeln und Hemmschwellen zu senken, da schon heute schwer ist einen falsch handelnden Beamten zu belange der eine Uniform Trägt vermummt ist und über keine Dienstnummer verfügt. Wird es kam möglich sein fremd Einheiten zu identifizieren und zur Rechenschaft zu ziehen.

     

    Was ich persönlich für ein Kalkül halte.

     

    Grußbereitschaft.

  • W
    wolf

    Da habt ihr aber recht, liebe taz. Wenn der Migrant nicht regelmäßig finanziell alimentiert und gepampert wird, legt er schon mal einen Stadtteil in Schutt und Asche. Da ist der Brite dann auch selber schuld.