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Kommentar Atomkraft in DeutschlandUnkalkulierbare Gefahr vor der Haustür

Bernhard Pötter
Kommentar von Bernhard Pötter

Angeblich waren nur die Schrottmeiler im ehemaligen Ostblock gefährlich. Doch Japan beweist das Gegenteil. Die Argumente der Atomlobby sind auf einmal ziemlich lahm.

J enseits aller ideologischen Graben- und Straßenkämpfe lautete das Hauptargument gegen die "friedliche" Nutzung der Atomkraft hierzulande bislang, dass die Entsorgungsfrage ungelöst sei: Wer nicht weiß, wohin mit dem Strahlenmüll, darf ihn nicht produzieren.

Doch die Katastrophe in Japan lehrt, dass auch der Normalbetrieb von AKWs, die in stabilen Staaten von qualifiziertem Personal gut gewartet werden, im Desaster enden kann. Um diese Einsicht haben sich Wirtschaft und Politik lange gedrückt.

Angeblich ging die Gefahr bloß von Schrottmeilern im ehemaligen Ostblock aus - wobei stets gern verdrängt wurde, dass auch Schweden, Frankreich oder die USA immer mal wieder knapp am Super-GAU vorbeischrammten. Das Fanal von Fukushima hat nun deutlich gemacht: Es gibt Situationen, in denen auch dreifache Sicherungssysteme versagen. Dann schlägt das Restrisiko voll durch.

Der Autor

BERNHARD PÖTTER ist Leiter des Ressorts Wirtschaft und Umwelt der taz.

Dabei geht es nicht um die lahme Verteidigung der Atomlobby, in Deutschland seien schwere Erdbeben und Tsunamis nicht an der Tagesordnung. Wenn durch die Verkettung schwerer Unfälle und dummer Zufälle in einem deutschen AKW für längere Zeit der Strom ausfällt, wenn die Zugangswege blockiert sind oder die Leitstelle etwa durch einen Flugzeugabsturz zerstört wird, dann laufen auch deutsche Reaktoren heiß. Da hilft auch das schönste TÜV-Siegel nichts.

Norbert Röttgen, Minister für Reaktorsicherheit, ist immerhin bereit, über das Restrisiko der deutschen Atomanlagen zu diskutieren. Wenn er das ernst meint, kann er sich mit den Bildern aus Japan vor Augen nicht mehr für längere AKW-Laufzeiten aussprechen. Er muss sich entscheiden: Ein Anti-Atom-Kurs ist ein politisches Risiko für Röttgen. Ein Pro-Atom-Kurs ist ein atomares Risiko für Deutschland.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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19 Kommentare

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  • K
    kinderhauser

    Kann mir bitte mal jemand erklären, warum es angesichts einer noch nie dagewesenen nuklearen Katastrophe, die ja noch nicht einmal ihren Höhepunkt erreicht hat, noch immer solche ignoranten Kommentare wie z. B. von "Otto" gibt??? Es sind doch eben diese blinden Technologie-Gläubigen, die es den Betreibern zusammen mit interessierten (und mitverdienenden) Politikern ermöglicht haben, ihr schmutziges Geschäft zu betreiben!

  • A
    Arnold

    Es hiess doch schon lange: Restrisiko ist das, welches uns den Rest gibt!

  • S
    systemix

    In der Tat gibt es auch andere industrielle Katastrophen. Wenn man anfängt Tote gegeneinander aufzurechenen, dann ist die Anzahl der Opfer von Unfällen in chemischen Betrieben sicherlich deutlich höher. Das verleitet zu der Erkenntnis, dass die Kernkraft steuerbar ist. Sie ist es auch, aber in einem System, was von vielen Komponenten abhängt, gibt es eben nicht beherrschbare Bereiche, die bei Fehlern eine Eigendynamik emntwickeln. Siehe z.B. die Kernschmelze durch nicht mehr zu unterbrechende Kettenreaktion. Bei den Temperaturen werden die Betonphasen zuerst in wasserfreie Silikate übergeführt, die dann bei Schmelzpunkten um die 1800 °C locker aufschmelzen. Der Stahl ist längst hinweggeflossen, da sein Schmelzpunkt um 1536°C liegt. Damit ist der Kontamination des Untergrundes Tor und Tür geöffnet.

     

    Nun greift der wesentliche Unterschied zwischen einem Kernkraftwerk und einer chemischen Fabrik. Die radioaktiven Isotope besitzen eben eine Halbwertszeit, die fern von menschlichen Zeitrechnungen sind. Da hilft auch nicht der schwache Trost, dass die stark strahlenden Substanzen binnen weniger Tage zerfallen. Die lang anhaltenden Strahler sind es, die Langzeitschäden bei Mensch und Tier hervorrufen.

     

    Die Bewohner des Landkreises Wolfenbüttel werden noch in den Genuss kommen, wenn Verunreinigungen mit radioaktivem Abfall aus der Asse II über migrierende Laugen am Ende in den Grundwasserkreislauf gelangen. Das ist nur eine Frage der Zeit.

     

    Den heldischen Pro-Energiekonzernschreiberlingen sei dies gesagt. Es gibt vieles, von dem sich unsere Kernkraftwerkspropaganda nicht träumen lässt.

  • A
    Ardin

    @otto

    hallo, noch nicht gemerkt, dass die Diskussion über den Sinn und Unsinn der Kernenergie das gesamte demokratische Europa erfasst hat? Noch nicht gemerkt, dass die entsetzlichen Fernsehbilder aus Japan Menschen unabhängig von Sprache und Nation ergriffen hat? Werfen Sie mal einen Blick in die internationale Presse. Es braucht gar keinen Wahlkampf mehr. Es braucht nur die passende Gelegenheit, die politischen Günstlinge der Atomwirtschaft aus ihren Ämtern zu wählen.

  • RW
    Roman W

    Es gibt eine Menge Szenarien, die eine Gefahr für AKW darstellen. Kleine Flugzeuge können schon AKW zerstören. Oder man dringt mit Waffengewalt in ein solches Werk ein. Vielleicht greift einer via Internet so ein AKW an usw usw. Es ist phantasielos zu glauben, daß nur Erdbeben eine Gefahr darstellen...

  • H
    Hans

    Lieber Herr Pötter, man muss auf die Sicherheitsstandards von AKWs nicht mehr eingehen. Sie existieren, aber sie sind kein Garant, um Notfälle zu regulieren. In Wirklich ist die Kernenergie nicht kontrollierbar, sie ist auch schnell nicht steuerbar und selbst im Normalbetrieb gibt es rings um AKWs höhere Krebsraten. Die ganze Technologie ist eine Fehlentwicklung und 2011 hätten wir viel weiter sein können. Erneuerbare Energien, bessere Baustandards, bessere technische Geräte, Regulation von Leuchtwerbung, Beleuchtung und vieles mehr.

    Aber wir haben (und hatten) lange Jahre ignoranten Regierungen, die sich geradezu einen Gaudi daraus machen, den Willen des Volkes zu ignorieren.

    Und deswegen kann es nur eine Aussage geben:

     

    Die Kernenergie ist auf ganzer Linie ein Fehler!

  • B
    bernhard

    wetten, dass es noch diese woche zum üblichen rot/grünen geschrei kommt, röttgen müsse zurücktreten?

     

    allen voran vom oberhetzer trittin?

     

    am ende ist sicher guttenberg noch dran schuld, dass es ein erdbeben gab.

     

    bin mal gespannt, ob sie das hier veröffentlichen. sie verbreiten ja auch nur noch die gleiche stimmung wie der unsäglich gewordene spiegel.

  • WB
    Wolfgang Bieber

    Was haben der Freiheitskampf der arabischen Völker und die Erdbebenkatastrophe Japan in Deutschland gemeinsam? Steigende Energiepreise, Menschenketten gegen die Atomkraft und eine ratlose Politik:

    http://bit.ly/ecMh2h

  • T
    tystie

    Spätestens seit gestern dürfen wir auch Renate Künast als Sprachrohr der 'Grünen' zur Atomlobby zählen. Denn sie schlug fernsehweit vor, die sieben ältesten AKW´s in Deutschland sofort abzuschalten und den Rest gemäß dem SPD/Grüne-Deal weiterlaufen zu lassen. Hoffentlich verschonen uns die Grünen Superpolitiker in Zukunft z. B. mit Beschwerden über die weitere Produktion von Atommüll.

  • Z
    Zafolo

    Ein wichtiger Punkt: Es wird immer wieder wiederholt, die Reaktoren seien abgeschaltet, die Kettenreaktion gestoppt und die Reaktoren damit sicher. Ein Ereignis wie in Tschernobyl könne sich nicht wiederholen.

     

    Das stimmt aber eben nicht bei einer Kernschmelze. Die Kettenreaktion wird gestoppt durch die Steuerstäbe des Reaktors, die einen Neutronenüberschuß aufnehmen. Sie wird somit garantiert durch die Struktur und Geometrie des Reaktors. Schmilzt der Reaktorkern, so hört auch diese Struktur und die Steuerstäbe auf zu existieren, und diese Kontrolle der Kettenreaktion ist nicht mehr möglich.

     

    Dies ist auch keine bloß theoretische Möglichkeit, sondern GENAU DIESER PROZESS war in Three Miles Island / Harrisburg schon in vollem Gang - was allerdings erst Jahre später bei der Öffnung des haverierten Druckbehälters entdeckt wurde. Die Leute in Harrisburg haben ganz riesiges Glück gehabt.

     

    Wenn sich, und das ist absehbar, geschmolzenes Uran am Boden des Druckbehälters schichtet, ist es vorstellbar, dass eine unkontrollierte Kettenreaktion in Gang kommt. Das hängt von weiteren Faktoren ab, da die sogenannten schnellen Neutronen in einem AKW normalerweise nicht ausreichen für eine Kettenreaktion. Eine solche Kettenreaktion wird Kritikalitätsunfall genannt, sie ist nicht gleichzusetzen mit einer Atombombenexplosion, aber sie würde wahrscheinlich doch zu einer unmittelbaren und dramatischen Zerstörung des Druckbehälters führen.

     

    Fazit ist, dass man ein AKW nicht so einfach mal eben sicher abschalten kann, auch nicht bei einem Erdbeben oder einem terroistischen oder militärischen Angriff. Das heißt nicht zuletzt: Wer an den AKWs festhält, sollte mal erklären, wozu man dann eigentlich noch eine Bundeswehr braucht.

  • H
    hwester

    Neckarzunami löst GAU in AKW aus.

     

    Nicht das extrem heftige Erdbeben hat die AKW in Japan beschädigt, die Stromversorgung wurde durch dne Zunami geflutet. "Die Katasthope in Japan lehrt, dass" ein guter Ratgeber Gesit und Geifer im Griff hat. In Japan dominiert die Furcht vor neuen Beben und Flutwelfen, die Atompanik ist ein (typisch) deutsches Problem.

  • G
    Gregor

    Das bedauerliche Ereignis in Japan zeigt uns doch erneut wie machtlos doch der Mensch gegenüber Naturgewalten ist. Es ist wirklich unverantwortlich AKWs in solchen hoch erdbebengefährdeten Gebieten zu bauen. Die Vorausberechnung der möglichen Erdbebenstärke hat sich als nutzlos erwiesen. Es gibt immer ein erstes Mal.

    Trotz aller Beschwichtigungen unserer Regierung liegt es nun wirklich auf der Hand, dass man endlich die Maßnahmen einleiten muss, die wirklich unserem Schutz dienen, nicht nur reden. Nach den letzten Festlegungen wie, Brennelementesteuer und ähnliches, war mir klar welchen Wortlaut die Erklärung unserer Bundeskanzlerin haben wird. Selbst wenn sie es ernsthaft wollte, was ich ihr auch zugute rechnen würde, sie kann gar nicht anders. Die Macht haben bisher immer die besessen, die das Geld haben. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Überall stehen mächtige Konzerne dahinter, die sich nicht gerne die Sahne wegnehmen lassen. Diese Schicht muss immer schön gleichmäßig dick bleiben. Doch diesmal gewinnt auch unser Staat an der Verlängerung der Betreibung der AKWs. So wird das Vertrauen der Wähler an die sogenannten Volksvertreter missbraucht. Der Gipfel des Ganzen ist noch, sie nennen sich: "Christliche Demokraten". welch eine Ironie.

  • V
    vic

    Ein weiteres Festhalten an Atomkraft muss das endgültige Aus für Merkel sein.

    Fast hoffe ich, sie bleibt auf Kurs.

    Weg mit Merkel, weg mit Schwarz-Gelb.

    DAS ist alternativlos!

  • P
    piccolomini

    bisher empfand ich die angst vor der atomkraft hierzulande als völlig übertrieben. einzig das argument der entsorgung erkannte ich an. doch der umstand, dass es jetzt in einem hochtechnisierten land wie japan zu einer solchen katastrophe gekommen ist, lässt mich stark zweifeln. dass es tatsächlich sinnvoll ist, selbst die älteren atomkraftwerke in deutschland länger laufen zu lassen, glaube ich seit diesem wochenende nicht mehr.

  • H
    harry

    Jetzt wird es ein verbales wahlkampftaktisches geeiere der pro-atom koalitionäre geben, das wie ein zugeständnis an die atomgegner klingen wird, aber nur dazu dient zeit zu schinden.

  • T
    Tom

    Ich bin sehr gespannt. Mir kam unser Umweltminister immer wie eine tragische Gestalt vor: er wollte aber durfte nicht.

     

    Wenn er nun derjenige ist, der unter Merkels Fuehrung deutsche AKWs gegen das Interesse der Bevoelkerung und fuer die privaten Profite der Konzerne weiterhin durchboxen muss, dann darf man sicherlich die Charakterfrage stellen...

  • B
    bernd

    Mein Mitgefühl gilt den Opfern der Naturkatastrophe in Japan und ihren Angehörigen!

    Ich hoffe, dass jetzt nicht noch eine starke atomare Verstrahlung im Umfeld der AKWs auftritt und Reaktorkessel brechen, was bisher nicht der Fall ist.

    Ranga Yogeshwar war bisher der einzige Journalist und Experte, der objektiv die Situation geschildert und beschrieben hat, ohne zu spekluieren! Alle anderen, die spekulieren und damit Unsicherheit schüren, stellen eine Schande dar und sollten ihren Beruf wechseln. Objektivität ist die Basis des Journalismus!

  • O
    otto

    Es ist wirklich eine Schande wie hier einige Parteien auf dem Gräber Tausender Toter Japaner Wahlkampf machen. Seht euch mal lieber an wo in Europa überall Akws stehen! Als ob wir in Deutschland irgendwie sicherer wären, wenn wir morgen aussteigen würden. Ich habe die AKWs jedenfalls lieber hinter meinem Gartenzaun als in Spanien oder Tschechien!

  • K
    Kopyor

    Das Merkel will, statt endlich mal das Richtige zu tun, erst mal "prüfen" - lassen.

    Wie üblich um Zeit zu gewinnen und Gras wachsen zu lassen.

     

    Vielleicht ist der schlichte Spruch Geisslers zu S21 gar kein so grosser Schaden.

    Noch mal werden sich engagierte Menschen nicht so leicht verarschen lassen, Mappus!

     

    Ich befürworte, statt zu "prüfen" erst mal abzuschalten, so lange bis die Asse

    gründlich aufgeräumt ist. Erst dann kann man über Atomenergie diskutieren.

     

    Besser wäre es, endlich wirkliche Hochtechnologie anzustreben, statt weiterhin

    Elektrizität mit Dampfmaschinen zu erzeugen, (welche durch Kernspaltung beheizt werden).

    Das war zu Zeiten des alten Werner-von-Siemens modern, als dieser dem König Ludwig ermöglichte, seine Wagner-Oper elektrisch zu beleuchten.

     

    Auf Atomenergie ist in Deutschland leicht zu verzichten, wenn die bereits verfügbaren Alternativen (Strom aus Skandinavien) - vorübergehend - genutzt werden. Deshalb gehen die Lichter nicht aus.

     

    Und ein Letztes: Lebensqualität misst sich nicht am Stromzähler. Was nützt ein

    kühler Kühlschrank wenn die Lebensmittel darin im Dunkeln leuchten? Guten Appetit!