Kommentar Atom-Studie: Sand für unsere Augen
Die EU muss aufpassen, dass die Atomlobby den Klimaschutz nicht über die Klinge springen lässt.
L ängere Laufzeiten von Atomkraftwerken werden den erwarteten Anstieg der Strompreise in den kommenden Jahrzehnten bremsen. Das hat jetzt der Bundesverband der Deutschen Industrie berechnen lassen. Ein Ergebnis, das nicht wirklich überrascht. Die Reaktoren sind längst bezahlt, und mit dem geplanten Neubau der Ersatzkraftwerke können sich die Konzerne noch Zeit lassen. Das spart Kosten, sorgt für rund 20 Milliarden Euro mehr Profit bei den Betreibern, und einen Teil davon werden sie schon an ihre Kunden weitergeben.
Doch die Studie argumentiert aus einer sehr eingeschränkten Perspektive: Das entscheidende Argument, das Experten aus zwei Instituten der Industrielobby liefern, ist der Preis für die Verschmutzungsrechte. Die Kohlendioxidzertifikate werden billiger, weil die deutschen Energieversorger weniger brauchen als geplant. Atomkraftwerke gelten nämlich als klimaschonend und brauchen keine Emissionsrechte. Weil zu dem Zeitpunkt, als die Rechte für die kommenden Jahre verteilt wurden, der vereinbarte Atomkonsens noch galt, wären im Falle eines Ausstiegs vom Ausstieg mehr Zertifikate auf dem Markt, als gebraucht würden.
Der Preis für Kohlendioxid wird also sinken. Die Industrie jubelt und sagt, der Klimaschutz werde billiger. Dabei droht er zukünftig so billig zu werden, dass sich Investitionen in den Klimaschutz in den Betrieben wie etwa sparsamere Technik, bessere Dämmung oder der Bezug von Ökostrom nicht mehr rechnen und stattdessen einfach weitere Verschmutzungsrechte auf dem Markt gekauft werden.
Stephan Kosch ist Redakteur im taz-Ressort Ökologie und Wirtschaft.
Wer also für niedrigere Stromrechnungen längere Laufzeiten von Atomkraftwerken in Kauf nimmt, schwächt ein sinnvolles Instrument zum Klimaschutz. Dieses Problem wäre zu lösen, wenn die EU sich auf die neue Lage in Deutschland einstellte und das festgelegte Budget kürzte. Doch dazu müsste ein mühsam festgezurrtes Gesetzespaket noch mal aufgeschnürt werden. Das wäre eine Herausforderung, selbst für eine echte Klimakanzlerin.
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