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Kommentar Amoklauf in FinnlandDer neue "Werther"-Effekt

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Das Neue am Amoklauf von Finnland ist, dass die Nachricht schon zum Standard geworden ist. Die globale Aufmerksamkeit gegenüber dem Verbrechen ermuntert Nachahmer.

A ls der Amoklauf in Finnland, bei dem sechs SchülerInnen, die Rektorin und eine Krankenschwester starben, vorgestern über die Agenturen tickerte, erzeugte diese Nachricht in manchen Redaktionen nicht mehr den gleichen Grad an Aufregung wie bei ähnlichen Fällen zuvor. Schließlich zeigt die Tat im finnischen Tuusula Ingredienzen wie andere Massaker: Der Täter präsentierte sich im Internet, litt an Größenwahn, war sozial isoliert und an eine Schusswaffe gekommen. Seien doch fast schon Standard, diese Amokläufe, murrten manche Journalisten. Genau das aber ist das Neue daran.

Bild: taz

Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Sozialpolitik im Inlandsressort der taz. Foto: taz

Dabei spielt nur eine kleine Rolle, dass die Tat in Finnland geschah, dem Land der vorbildlichen Pisa-Ergebnisse. Finnland hatte schon immer auch mit einer hohen Selbstmordquote zu kämpfen. Die nationalen Eigenheiten sind für die Tat nicht so wichtig. Denn längst ist der Amoklauf an Schulen zum globalen Rollenmodell geworden, für einen Akt der größtmöglichen aggressiven Selbstzerstörung unter jungen Männern. In den vergangenen elf Jahren gab es weltweit mindestens 13 Fälle, in denen Schüler an Bildungsstätten Morde und Massaker verübten, jedes Mal mit gewaltigem Medienecho. Auch der finnische Täter folgte Vorbildern - und das muss ihn wohl auch ein bisschen gestört haben. Im Internet kündigte er sein Tun an und verwahrte sich gleichzeitig gegen posthume Interpretationen seiner Tat und seiner Person. Ein bisschen selbstbestimmt will man dann doch schon bleiben, auch als Massenmörder.

In der Selbstmordforschung spricht man vom "Werther"-Effekt, also einer Reihe von Folgesuiziden, wenn über den Freitod eines Prominenten berichtet wird. Einen ähnlichen Effekt gibt es wohl auch bei jugendlichen Amokläufen. Die Täter können sich der globalen Aufmerksamkeit sicher sein, weil das Entsetzen überall gleich ist: Kinder töten Kinder, und das auch noch in der Schule. Dem Leid der Eltern wird ohnehin keine Berichterstattung gerecht. Das kann nur bedeuten: Amokläufe wie der von Tuusula dürfen nicht medial und soziologisch vergrößert werden. Eine bessere Strategie gibt es nicht.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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1 Kommentar

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  • J
    joscha

    "Amokläufe wie der von Tuusula dürfen nicht medial und soziologisch vergrößert werden. Eine bessere Strategie gibt es nicht."

    guter vorsatz, leider nicht geklappt.