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Kommentar AltersteilzeitGroßversuch mit 60-Jährigen

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Im Streit um die Altersteilzeit geht es nicht um die Betroffenen, sondern um den Wahlkampf 2009.

Bild: taz

Barbara Dribbusch ist Inland-Redakteurin der taz.

Wer wissen will, was politische Heuchelei ist, der muss sich nur den Streit um die Altersteilzeit anschauen. Hier geht es nicht um die Sache und die Betroffenen, also die Älteren. Sondern darum, dass Union und SPD versuchen, sich voneinander abzusetzen und in Stellung zu bringen für den Wahlkampf 2009. Man hofft, dass die Wählerschaft bei dem komplexen Thema nicht genug durchblickt - und deshalb auf ein paar Schlagworte hereinfällt.

Jetzt hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigt, dass eine Verlängerung der geförderten Altersteilzeit mit ihr nicht zu machen sei. Dabei verweist sie auf den "Fachkräftemangel". Doch auch nach dem Vorschlag der SPD zur Altersteilzeit würde künftig wohl kaum jemand vor dem 60. Lebensjahr aus dem Betrieb ausscheiden. Und dass 61- oder 62-jährige Arbeitnehmer in den Betrieben so doll gefragt seien, diesen Eindruck kann man derzeit nicht gewinnen. Im Gegenteil: Es gibt viele arbeitslose Ingenieure über 50, die aufgrund ihres Alters keine Stelle mehr bekommen. Die Demografie wird diese Zahlen zwar verschieben, aber nicht grundlegend ändern.

Genauso wenig überzeugt allerdings das Argument der SPD, man wolle das Ausscheiden der 60-Jährigen weiterhin subventionieren, damit künftig mehr Jüngere nachrücken könnten. Junge Kräfte werden in 10, 15 Jahren so rar sein, dass man sie vermutlich auf Händen in die Betriebe trägt - da braucht man kein teures Extra-Instrument.

Es wäre also ehrlicher, die Verteilungsfrage offen anzusprechen. Ein 60-Jähriger, der über eine sechsjährige Altersteilzeitschiene aus seinem Unternehmen aussteigt, wird im Schnitt während dieser Zeit mit 84.000 Euro von anderen Beitragszahlern finanziert. Das flächendeckend zu machen, ist nicht fair. Man muss deshalb diskutieren, ob der Gesetzgeber die Subventionierung nicht nur für eine bestimmte, hochbelastete, sehr kleine Prozentzahl der Beschäftigten in den Betrieben erlauben könnte, die dann vor Ort ausgewählt wird.

Solche Vorschläge sind zwar kompliziert und schwer zu vermitteln, sie eignen sich deshalb schlecht für den Wahlkampf. Aber vielleicht denkt ja mal jemand an die Betroffenen.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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