Kommentar Afghanistan-Affäre: Vertuschte Kriegsführung
Es gibt in der Afghanistan-Affäre viele auffällige Zufälle. Die Republik ist in der Normalität eines kriegsführenden Staates angekommen.
In Kundus wurden Anfang September bei einem ISAF-Angriff, an dem die Bundeswehr maßgeblich beteiligt war, Dutzende von Zivilisten getötet. Dies konnte man schon vor drei Monaten wissen: Es gab direkt nach der Bombardierung der beiden Tanklaster Berichte über zivile Opfer. Doch die Bundesregierung klammerte sich beharrlich an eine für sie freundlichere Sichtweise: Die Bombardierung war Rettung in letzter Sekunde, weil die Taliban die beiden LKW in rollende Bomben verwandeln wollten. Diese Version ist zusammengebrochen, Minister Jung zurückgetreten. Ist also alles wieder in Ordnung, die Demokratie gestärkt?
Kaum. Der neue Verteidigungsminister zu Guttenberg erklärte Anfang November, dass der Kundus Angriff "militärisch angemessen" war. Das ist erstaunlich, denn es gab damals im Verteidigungsministerium fünf Berichte über zivile Opfer des Kundus-Angriffs - von denen zu Guttenberg allerdings, wie er beteuert, nichts wusste. Hat wirklich niemand im Verteidigungsministerium dem forschen, neuen Minister wenigstens angedeutet, welche Berichte über Kundus intern vorlagen? Hat Guttenberg lieber nicht gefragt? Wir wissen es nicht.
Stefan Reinecke ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.
Man wird in den nächsten Tagen beobachten können, wie der geschmeidige zu Guttenberg der Öffentlichkeit darlegt, was er wann alles nicht wusste. Zudem liegt der Verdacht nahe, dass die spärliche Informationspolitik wahltaktisch dosiert war. Kanzlerin Merkel rettete Anfang September ihren wankenden Minister Jung, stellte sich vor die Truppe und bugsierte das Thema so nebenher geschickt aus dem Wahlkampf. Nur ein Zufall? Wusste Merkel nichts von den Berichten, die im Ministerium lagen? Es gibt in dieser Affäre viele Zufälle, viele ahnungslose Minister, viele zeitlich glückliche Fügungen. Zu viele. Sichtbar wird eine Politik des Vertuschens, um das Militär zu schonen. Die Republik ist in der Normalität eines kriegsführenden Staates angekommen.
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