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Kommentar Abtreibungsverbot in der TürkeiRückschritt per Dekret

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Es soll wieder verboten werden, was fast 30 Jahre legal war. Noch ist das de facto-Verbot von Abtreibungen in der Türkei nicht durch. Widerstand wird schwierig werden.

W as in anderen Ländern Gegenstand jahrejanger, ja manchmal sogar jahrzehntelanger Debatten ist, geht in der Türkei ganz schnell. Kaum hat der unumschränkte Alleinherrscher Recep Tayyip Erdogan die Losung ausgegeben, Abtreibung sei Mord, hat sein Gesundheitsminister schon wenige Tage später einen Gesetzentwurf in der Mache, der ein de facto-Verbot von Abtreibungen vorsehen soll.

Es wäre ein tiefgreifender gesellschaftlicher Rückschritt, per Federstrich erledigt. Noch ist es nicht ganz soweit, der gesellschaftliche Widerstand beginnt sich zu formieren, doch die Chancen stehen schlecht. Wenn Erdogan etwas durchsetzen will, das zeigen viele Beispiele aus der Vergangenheit, lässt er sich von Protesten, zumal aus dem säkularen, westlich orientierten Lager der Gesellschaft, schwerlich beeindrucken.

Die Frage der Zulässigkeit von Abtreibung zeigt wie unter einem Brennglas, wie schlecht es in der Türkei nach wie vor um demokratische Prozesse bestellt ist, ganz besonders wenn es um die Rolle der Frau in der Gesellschaft geht. Die Zulassung von Abtreibungen bis zur zehnten Woche wurde 1983 gesetzlich festgeschrieben – nicht etwa nach langen Debatten, sondern von den damaligen Militärs, die sich im September 1980 an die Macht geputscht hatten, per Anordnung verfügt. Genauso soll es jetzt wieder laufen, nur mit dem gegenteiligen Ziel.

taz
JÜRGEN GOTTSCHLICH

ist Türkei-Korrespondent der taz in Istanbul.

Ohne dass Abtreibungen zuvor überhaupt eine Thema gewesen wären, entdeckt Erdogan plötzlich, dass Schwangerschaftsunterbrechungen einem Mord gleichkommen und außerdem die Türkei schwächen, weil dadurch das Bevölkerungswachstum dezimiert würde. Plötzlich soll wieder verboten werden, was fast 30 Jahre legal war und zu keinerlei moralischen oder medizinischen Problemen geführt hat.

Auf dem Rücken der Frauen, denen nicht nur das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper genommen werden soll, sondern die, wenn sie in Not sind, in die Illegalität getrieben werden, will Erdogan seine konservative männliche Kernklientel bedienen.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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10 Kommentare

 / 
  • U
    unbeksnnt

    Wie wäre es mal mit dem recht des kindes auf leben.

    Wie kann eine mutter mit der begründung auf selbstbestimmung einem anderen menschen das recht nehmen jemals das licht der welt zu sehn?

    Wie kan es sein das man im westen die todestrafe für kinderschänder vergewaltiger und mörder abgeschaft hat mit der begründung von menschrechten und humanismus aber für ein ungeborens unschuldiges leben zeigt man kein mittleit.

    Man baut wege für frösch spendend geld für hunde in rumänien

    Aber man schmeisst in Deutschland 100000 Babys im Jahr in die mülltonne

    Wo sind da die meschrechtler die bei jedem mörder auf die tränendrüsse drücken. Wir habn uns zurück entwickelt selbst die menschen vor 1000 von jahren wussten das leben etwas heiliges isst.

  • N
    Neo

    Götschlich sagt: "westlich orientierten Lager der Gesellschaft"

     

    Wen oder was meint Götschlich damit? Meint er die "westlichen" und "super-freien" US-amerikanischen Abtreibungsärzte, die in ihrer Klinik totgebombt werden oder meint er Irland, Spanien, Portugal, Italien mit ihren restriktiven Abtreibungsregeln, wobei Irland per Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte von 2010 das Abtreibungsverbot lockern müsste, bis heute aber immer noch nicht umgesetzt?

     

    Wen oder was meinen Sie also mit "westlichem Lager"?

  • T
    tantchen

    Erdogan - der moderate Islamist? Wer das ernsthaft geglaubt hat, wird nun hoffentlich endlich die Augen öffnen. Erstaunlich, dass das Ansinnen der türkischen Regierung so wenig Widerstand erzeugt. Vielleicht wissen die jungen Frauen heute nicht mehr, was es heisst, illegal abtreiben zu müssen? Es bedeutet für Frauen Erniedrigung, Ausgeliefertsein, Gefahr für Leib und Leben. Hoffentlich kommt Erdogan mit seiner ekelhaften, frauenfeindlichen Demagogie nicht durch.

  • S
    Slimak

    Die Toms und Tims dieser Welt scheinen auch noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen zu sein. Wie wärs's mit auswandern? Z.B. in die auch so demokratischen USA - da werden die christlichen Fundamentalisten euch mit offenen Armen empfangen. Die können solche Obermacker bestimmt als Unterstützung für ihre reaktionäre Mission brauchen.

     

    Mein Bauch gehört mir, meine Herren!!! Und ihr habt gar nichts diesbezüglich zu entscheiden, egal wo auf diesem Globus. Alle Frauen, ob in der Türkei oder wo auch immer, brauchen keine männliche Bevormundung durch selbsternannte Lebensschützer, von denen sich das Gros nicht nennenswert für geborenes Leben engagiert.

  • D
    dieter

    Tim und Tom sind Christen!

    Da sieht man Mal wieder, wie ähnlich sich diese ganzen religionsgesteuerten Typen sind, vor allem wenn es um Frauenrechte geht.

    @ carla

    ja, das ist wirklich gruselig, was Erdogan macht!

    Ist dir auch aufgefallen, dass der Christianisierungsprozess hier auch seit über 10 Jahren läuft? Christliche Parteien an der Macht, ein Pfarrer als Presi, Kirchensteuer sogar christliche Kindergärten!

    Du sagts sogar selbst "christlicher" Westen.

    Gehöre ich als Atheist für dich nicht zum Westen?

    Die wahren Feinde der Religionsgesteuerten dieser Erde sind wir Atheisten.

    Ohne uns würden hier immernoch Hexen brennen...

  • C
    carla

    Nichts für ungut, aber der Islamisierungsrozess läuft in der Türkei schon seit mehr als 10 Jahren.

     

    Das Ergebnis? Stetig zunehmender Nationalismus, zunehmend junge, Kopftuch tragende Frauen, Religiösität in allen Alltagsbereichen, Distanzierung vom christlichen Westen etc.

     

    Wie kann man da, wie der Autor, überrascht sein?

  • L
    Lox

    @ Tom

     

    Das behaupten SIE. Ich hingegen sage, daß SIE Stuss labern, denn SIE gehen davon aus, daß alle so zu denken haben wie SIE.

  • R
    Rizo

    @ Tom:

    Stimmt, dass Vergewaltigungsopfer nicht auf eine Vergewaltigung mit Kondom bestehen ist echt egoistisch und verantwortungslos.

     

    Ansonsten alles klar bei Ihnen?

  • T
    Tim

    Ich verstehe nicht ganz, was Sie motiviert, das Thema so vage und verschwommen zu kommentieren. Nach meinen intensiven Recherchen liegt noch kein Gesetzesentwurf vor. Zudem hat sich der türkische Gesundheitsminister gestern im Fernsehen dahingehend geäußert, dass man sich wünscht, über das Thema zu diskutieren. In der Türkei wird die Abtreibung als Verhütungsmittel missbraucht.

     

    Natürlich sollte darüber diskutiert werden. Sie schreiben vom Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Ihnen ist klar, dass es sich um ein Menschenleben handelt und nicht um einen Schönheitseingriff oder eine kosmetische Korrektur?

     

    In Irland und Portugal war die Abtreibung bis vor Kurzem ganz verboten. Bis die EU-Gerichte gesagt haben, dass das nicht okay ist und die Länder mussten ihre Regelungen überarbeiten. In 25% der Länder ist die Abtreibung heute komplett verboten.

     

    Ich finde es sinnvoll, dass der türkische Ministerpräsident den Menschen einen Denkanstoß verpasst hat und die türkische Gesellschaft nun darüber diskutiert. Meine Meinung ist: eine Abtreibung ist kein Verhütungsmittel. Es sollten gesetzliche Randbedingungen definiert werden, wo eine Abtreibung zulässig ist (beispielsweise Gefahr für das Leben der Frau, soziale und psychische Bedinungen, mögliche schwere Erkrankung des Kindes. Wobei der letzte Aspekt auch intensiver diskutiert werden muss). Man entfernt sich schliesslich nicht den Zahnbelag sondern ein lebendes Wesen. Grundsätzlich sollte darauf bedacht sein, dieses Leben zu schützen.

     

    Der türkische Gesundheitsminister hat gestern etwas wirklich bemerkenswertes geäußert. Was geschieht, wenn die Frau nach einer Vergewaltigung schwanger wird? Sollte hier das Recht bestehen, abzutreiben? Seiner Meinung nach nicht. Falls die Frau das Kind nicht haben möchte, könne sich der Staat um das Kind kümmern. Ich finde das bemerkenswert und lobenswert, wie sehr das Leben im Fokus steht.

     

    Ich würde Ihnen empfehlen und bitten, vorher etwas intensiver zu recherchieren und den Lesern anständigen Lesestoff zu präsentieren.

  • T
    Tom

    Leben muss geschützt werden. Es gibt Kondome, Pille uvm. Wer ohne Sex hat muss Verantwortung übernehmen. Töten ist keine Lösung!