Kommentar Abspaltung von Teilstaaten: Wer die Macht hat, macht die Norm

Serbien will eine völkerrechtliche Klärung der Abspaltung des Kosovo. Seit dem Georgienkonflikt hat sich sowohl die Position Russlands als auch die der westlichen Länder geändert.

Mit diesem Antrag dürfte Serbien einige diplomatische Verwirrung hervorrufen: Die UN-Vollversammlung soll im Herbst ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) anfordern, das sich mit der Abspaltung des Kosovo befasst. Da dürfte sich dann zeigen, wie beliebig viele Staaten mit völkerrechtlichen Grundsätzen argumentieren.

Die Russen etwa haben Serbien immer unterstützt und die Kosovo-Albaner vor einer vermeintlich unzulässigen Abspaltung gewarnt. Doch seit der Südossetien-Krise verweist Russland plötzlich positiv auf das Beispiel Kosovo. Was vom Westen dort akzeptiert wurde, so die Botschaft, müsse auch im Kaukasus gelten. Genau umgekehrt die Bewegung im Westen. Mehr als 40 Staaten haben schon Kosovo anerkannt und die Bedenken von Völkerrechtlern gegen die Abspaltung ignoriert. Nur Spanien, die Slowakei und Rumänien hielten sich mit Blick auf eigene Minderheiten zurück. Doch inzwischen steht die "territoriale Integrität" der Staaten wieder hoch im Kurs, zumindest wenn es um Georgien geht.

Diese Widersprüchlichkeiten könnten dazu führen, dass es im September in der UN-Generalversammlung gar keine Mehrheit für ein IGH-Gutachten gibt. Vielleicht spekuliert die serbische Regierung sogar darauf. Für sie geht es nur darum, den serbischen Anspruch auf das Kosovo nicht kampflos aufzugeben - ohne zugleich die neuen Partner im Westen zu verärgern. Der Antrag an die UN-Vollversammlung ist also auch Show fürs heimische Publikum.

Besser wäre es freilich, das UN-Gericht bekäme Gelegenheit, Kriterien für eine zulässige Abspaltung darzulegen. Zwar wäre ein Gutachten nicht verbindlich, doch ließe es sich auch nicht einfach ignorieren. Die letzten Wochen im Kaukasus haben gezeigt, dass alle Konfliktparteien bemüht waren, ihre Position als völkerrechtskonform darzustellen. Die Richter müssten freilich einen überzeugenden Mittelweg finden. Wenn sie Sezessionen zu sehr ermuntern, könnte das Bürgerkriege auslösen. Legen sie die Hürden zu hoch, könnte das Bürgerkriege verlängern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.