Komiker Colbert: "Ich bin Amerika"
Laura Bush hat ihm einst mitgeteilt, er solle sich f***en. Nun will der TV-Satiriker Stephen Colbert selbst US-Präsident werden - spaßeshalber.
BERLIN taz Unmittelbar nachdem Stephen Colbert live in seiner Late-Night-Show "The Colbert Report" angekündigt hat, als US-Präsident zu kandidieren, wendet er sich seinem Gast zu, dem altgedienten Journalisten Jeff Greenfield, um ihm ehrlich empört die Frage zu stellen, ob denn eine Late-Night-Show der angemessene Ort sein kann, um eine Kandidatur bekannt zu geben.
Kann sie offensichtlich. Der Markt hat gesprochen, wie Colbert selbst sagen würde. Schließlich hat der republikanische Exsenator Fred Thompson in diesem Wahlkampf bei Jay Leno seinen Hut in den Ring geworfen. Der Demokrat John Edwards tat dasselbe in der "Daily Show" von Colberts Entdecker Jon Stewart. Und beide Kandidaten gehören zu den "Frontrunnern" ihrer Parteien im Rennen um das Weiße Haus. Einen kleinen Unterschied gibt es dann aber doch: Stephen Colbert ist ein Fake. Anders als bei anderen Präsidentschaftsanwärtern herrscht da Gewissheit.
Der Komiker Stephen Colbert, der zufällig genauso heißt wie sein Alter Ego, der rechtslastige Talkshowgastgeber und Jungpolitiker Stephen Colbert, ist in den USA in diesem Jahr zur allgegenwärtigen Kultfigur geworden. Mit ihm muss sich schmücken, wer jung und am Puls der Zeit sein will. Sein Konterfei ziert die Packung von "Stephen Colberts Americone Dream" des Eiscremeherstellers Ben and Jerrys, der Milliardär Richard Branson taufte ein Flugzeug seiner Virgin-Flotte auf den Namen "Air Colbert", Vanity Fair adelte Colbert mit einem langen Porträt, die Groß-Talker des Fernsehens wie Larry King und Diane Sawyer luden zum Tête-à-Tête.
Bigott und marktgläubig
In seiner eigenen Sendung, dem "Colbert Report" - ausgesprochen ohne die ts - geben sich Showstars und Politiker die Klinke in die Hand. Auch Republikaner sind gerne bei Colbert zu Gast. Schließlich erreicht seine Show beim Kabelkanal Comedy Central mehr junges Publikum als alle anderen Late-Talker. Die Besuche der Politiker sind aber auch ein Zeichen dafür, dass Colberts schneller Aufstieg wie über kommunizierende Röhren verbunden ist mit dem rapiden Ansehensverlust des Präsidenten Bush - bis weit in das Lager der Republikaner. Schließlich ist Stephen Colbert der Mann, dem Laura Bush vor einem Jahr zuzischte, er solle sich f***en, nachdem er ihren Mann als Redner beim Korrespondentendinner des Weißen Hauses der Lächerlichkeit preisgegeben hatte. Getan hatte er das wie immer verpackt in überschwängliches Lob und bedingungslose Unterstützung für den Präsidenten.
Stephen Colbert, die Bühnenfigur, ist ein erzkonservativer, radikal marktgläubiger (vom Klimawandel hat er sich durch die Einspielergebnisse von Al Gores Film überzeugen lassen) und bigott christlicher Fernsehmoderator. Der ultrareaktionäre Bill OReilly von Fox News ist das direkte Vorbild für den "Colbert Report", einem Spin-Off der satirischen "Daily Show". OReillys Auftritte muss man nur geringfügig übertreiben, um den Wahnsinn vollends herauszukitzeln. Und Colbert tut das brillant. Dabei fällt er auch außerhalb der Sendung so gut wie nie aus der Rolle.
Statt der Realität der Fernseh-Networks karikiert Colbert, erneut vom Original kaum unterscheidbar, die Rituale der Präsidentschaftsbewerber. Wie es sich gehört, brachte er zunächst ein Buch heraus, "I Am America (And So Can You)", das in den Bestsellerlisten landete und in dem er seine politischen Prinzipien darlegt. So hält Colbert die Schwulenehe für die größte Gefahr für die Nation neben staatlicher Gesundheitsfürsorge, Dyson-Staubsaugern und Liegefahrrädern.
Es folgte die Phase der Sondierung. Wochenlang drängte er alle Interviewpartner, ihn nach einer Kandidatur zu fragen, nur um dann abzuwinken, dafür sei es noch zu früh. Dann, vor einer Woche, die Verkündigung, "nach 15 Minuten Seelenerforschung". Am Sonntag saß er schon wie ein politisches Schwergewicht in der Talkshow "Meet the Press". Antreten will Stephen Colbert nur in seinem Heimatstaat South Carolina, aber dafür sowohl als Republikaner als auch als Demokrat. Die Unterlagen hat er ausgefüllt. Und sein Mentor Jon Stewart freut sich schon "auf jede Menge Spaß auf Präsident Colberts Kosten".
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