Kolumne: Wie ich in eine Zeitschleife geriet
"Eine andere Welt ist möglich" hieß es in den G-8-Camps. Was Zukunftsvisionen angeht, bin ich ein gebranntes Kind.
W eiße Pfeile geben die Richtung vor. "Revolution" steht alle paar Meter mit Kreide auf dem Gehweg. Vorsichtig folge ich der vorgegebenen Richtung. Bis mich ein riesiges Transparent empfängt. "Trotz allem: Imperialismus zerschlagen." Verwundert reibe ich mir die Augen. Das kommt mir alles verdammt bekannt vor. Als Jung- und Thälmannpionier habe ich doch tagtäglich Revolution gemacht und gegen den Imperialismus in der Welt gekämpft. Anscheinend aber nicht wirklich erfolgreich.
Neugierig laufe ich weiter. Plötzlich stehe ich auf einem Feldweg, der, so lese ich auf einem Holzschild, den Namen Rosa Luxemburg trägt. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Rechts und links wehen rote Flaggen mit dem Aufdruck "Roter Oktober". Che Guevara hängt an jeder zweiten Fahnenstange, so dass ich es bald sein lasse, diesen alten Bekannten zu grüßen. Stattdessen konzentriere ich mich auf die Losungen und Zitate, die mit roter Farbe auf weiße Laken gepinselt sind. "Die Funktionärsträger der Macht sind die Charaktermasken des Kapitals" oder "Hasta la victoria siempre". Ich bin froh, als ich Parolen lese, mit denen ich nicht aufgewachsen bin. "Kapital braucht Krieg", "Lebe den Widerstand!", "Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche." "Freiheit für Christian Klar". "Kommunismus Schalalalala".
Bin ich in eine Zeitschleife geraten? Träume ich? Weder noch. Ich bin im Aktionscamp auf dem alten Rostocker Grenzschlachthof. Dort haben tausende Globalisierungskritiker und Aktivisten ihre Zelte aufgeschlagen, um dem G-8-Gipfel in Heiligendamm etwas entgegenzusetzen. Ihr Motto: "Eine andere Welt ist möglich."
Ich mache mich auf die Suche nach einer Antwort auf die Frage, wie das gehen kann. Dazu braucht es Regeln. Das leuchtet mir ein. Sie kleben an Informationstafeln oder flattern an gelben Absperrbändern im Wind. "Flaschen in das Barzelt bringen." "Darauf achten, dass die Menschen ihren Müll selber wegräumen (motivieren)." "Übernimm Verantwortung." "Bedenkt fürs spülen: Du bist ein Star! Bitte nicht vergessen: Hände desinfizieren vorm Spülen und bitte erinnere die anderen daran, warmes Wasser ist der ideale Ort für böse, doofe Bakterien." "Der Zaun ist keine Latrine."
Es liegt in der Natur des Menschen, dass Appelle allein nicht fruchten. Ich weiß, wovon ich rede. Deshalb verwundert es mich nicht, dass es genauso viele Gesuche wie Gebote gibt. Freiwillige werden gebraucht für den Spüldienst, für die Infostellen, zum Trockenlegen eines nassen Feldweges, zum Übersetzen bei Delegiertentreffen.
Wie ganz nebenbei werden die Regeln der Orthografie außer Kraft gesetzt, wie ich feststellen kann. In einem Aufruf wird an "Klohpapier!" erinnert. An dem Ort, wo es zum Einsatz kommen soll, wird auf Plakaten um Mitstreiter für eine "Antisexistische Kontaktgruppe" geworben. "Nein heißt Nein. Sexismus ist überall." Ich bin froh, dass sich die Dixieklos von innen abschließen lassen.
Kurz bevor ich mich vom Acker mache, knipse ich ein Foto, obwohl ich schon in der Rosa-Luxemburg-Straße darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass fotografieren verboten ist. "Früher war alles besser", hat ein Witzbold auf ein Plakat vor seinem Zelt geschrieben.
Erfolgreich haben Aktivisten und Globalisierungskritiker Zufahrtswege und Straßen blockiert. Nur haben sie dabei ihr hehres Ziel leider etwas aus den Augen verloren. Tausende von ihnen haben die freiwillige Essensspende von oftmals nur zwei Euro nicht bezahlt. Die Großküchen stehen vor einem finanziellen Desaster. Andere Verfechter einer gerechteren Welt sind nebenan zu "Lidl" gegangen, einem dieser Schweinesystem-Supermärkte, die sie eigentlich bekämpfen. Auch dieser Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist mir bestens bekannt.
Im Unterschied zu früher darf ich das jetzt aber zum Glück offen kritisieren. Häkelbällchen zu jonglieren mag Spaß machen, Bier trinken und kiffen auch. Die Welt macht das nicht besser. Kommunismus, schalalalala.
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