Kolumne: Sex mit Arbeitslosen
Als ich ein altes Wort für "Dessous" wiederentdeckte, fiel mir die Caritas ein - die weiß, was Arbeitslose brauchen
In der staubigen Umzugskiste kramte ich, um zu entscheiden, welches der dort lagernden Bücher ich doch wieder in ein Regal stellen und welches ich für immer im Keller lassen würde. Plötzlich hielt ich "Sex Tips for Girls" in der Hand, fing an, darin zu lesen - da fiel mein Blick auf das Wort "Reizwäsche".
Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Sozialpolitik im Inlandsressort der taz.
"Reizwäsche" - was für eine interessante Verbindung zweier Assoziationsräume stellt dies doch dar. Das Hausfrauliche und das Sexuelle verbinden sich zu einem Produkt. Und das, so mutmaßte ich früher, kaufen vor allem Ehefrauen, um die Aufmerksamkeit des Mannes wieder zu erwecken, wenn diese droht buchstäblich einzuschlafen. Ein bisschen nach 50er-Jahre-Sex klang der Begriff, nach Hausfrauen mit toupierten Haaren und bewusst kindlichem Blick, die mit hohen Piepsstimmen versuchen, das Interesse des Mannes wach zu halten, über den sie sich ausschließlich definieren. Für das immer gleiche Geschenk braucht man eine immer neue Verpackung. Logisch. Sonst kauft das keiner.
In den 70er Jahren, als Teenies, wussten wir allerdings, dass wir keine "Reizwäsche" benötigten, sondern nur im alten Herrenhemd des schon etwas älteren Verehrers nackt durch die Wohnung laufen mussten, um dessen Aufmerksamkeit und Beschützerinstinkt zu wecken. "Reizwäsche" - so was tragen nur Verliererinnen, dachten wir damals.
Heute sagt man zu "Reizwäsche" nur noch "Dessous". In der Frauenzeitschrift Brigitte stand über eine Frau in ihren 40ern: "Sie liebt witzige Dessous und tanzt gerne in Salsa-Lokalen." "Witzige Dessous" - nur einmal fragte ich mich, ob diese Frauen jene Menschen sind, von denen mein Onkel Wladi früher zu sagen pflegte: "Sie ist eine ganz reizende Person!"
Dies war das reizendste Kompliment, dessen er fähig war. Aber ich glaubte, er meinte einen anderen Frauentyp.
Wer an "Reizwäsche" weniger die "Wäsche", sondern mehr den "Reiz" betont, der verirrt sich schnell im Assoziationsraum zum Prostituiertenmilieu. Dabei ist die "Reizwäsche" für diese Frauen eher eine Art Arbeitskleidung. Man könnte sagen: "Reizwäsche" ist die blaue Arbeitshose der Prostituierten. Was zur interessanten Frage führt, ob nicht die Verbindung von Sex, Geld und Arbeit das eigentlich Reizvolle ist in unserer Zeit.
Zum Beispiel brauchen die Unternehmer einen "Anreiz", um in Deutschland zu investieren, weswegen man die Unternehmensteuern weiter senkt. Der Unternehmer also denkt offenbar auch "in Reizen", er ist ein kreatürliches Wesen, wie wir alle, und unterliegt daher den Mechanismen von Reiz, beziehungsweise Anreiz, und Reaktion.
Wie ähnlich funktioniert doch angeblich der Arbeitslose, nur gewissermaßen von unten her! So klärt uns der Deutsche Caritas-Verband auf.
Die Caritas ist katholischer Herkunft und daher eigentlich der "Reizwäsche" abhold. Wenn man mal davon absieht, dass die Sado-Maso-Szene sich gerne katholischer Insignien wie Kreuzen, Dornenkronen und allerhand anderen Beiwerks bedient, um den Reiz der Unterwerfungsspiele zu verstärken. Wenn man also davon mal absieht, würde man bei der Caritas keine "Reizwäsche" vermuten. Trotzdem, der Reiz, beziehungsweise der Anreiz, um ihn geht es auch hier.
Ein Beschäftigungsprogramm für langzeitarbeitslose Hartz-IV-Empfänger sei "kritisch" zu bewerten, weil der Lohn zu hoch, genauer gesagt: nicht gering genug sei im Vergleich zum Niedriglohnsektor, meinte Caritas-Generalsekretär Georg Cremer kürzlich. Damit fehlten "Anreize" für Personen in Beschäftigungsprogrammen, in den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln. Auch der Arbeitslose ist nämlich, ganz wie der Unternehmer, gefangen in einem Regelkreis aus Reiz und Reaktion, aus dem der Wille nicht heraushilft. Erst wenn der Arbeitslose arm genug ist, kann er den Reiz eines Niedriglohnjobs so richtig wahrnehmen. Der Arbeitslose - ein abgestumpftes Triebtier, das sachgerecht behandelt werden muss.
All dies fiel mir ein - und ich legte die "Sex Tips" wieder zurück in den Umzugskarton, auf dass sie im Keller weiter vor sich hin stauben. Wo doch überall schon so viel Reizwäsche herumliegt, bei den Unternehmern, bei den Arbeitslosen.
Dass muss man nicht auch noch in der Wohnung haben. Dann lieber doch das alte Herrenhemd.
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