Kolumne: Mit dem Rad von der Schönhauser Allee nach Kreuzberg

Im Folgenden geht es um das Ende der Menschheit, einen Hollywoodfilm, Zombies und Straßenmusiker. Lose verknüpft ist das alles mit dem BVG-Streik.

Im Folgenden geht es um das Ende der Menschheit, einen Hollywoodfilm, Zombies und Straßenmusiker. Lose verknüpft ist das alles mit dem BVG-Streik.

Besucher aus New York und London haben mir gesagt: "Etwas unterscheidet Berlin von anderen Metropolen. Die Stadt ist so leise." Das kann ich nach einem Vergleichstest bestätigen. Um die lärmgeschädigten Besucher zu schocken, habe ich ihnen entgegnet: "Ihr sollt Berlin mal am Sonntag erleben. Wenn man da auf die Straße tritt, dann sieht man Menschen, die öffentlich Stecknadeln fallen lassen. Draußen gehts. So leise ist das." Die angloamerikanischen Besucher haben den Wortwitz wahrscheinlich nicht verstanden. Sonst hätten sie bestimmt gelacht. Ich erzähle das, weil der gestrige Sonntag geradezu unheimlich still war.

Obwohl die Sonne schien und das Wetter zum Ausflug einlud, war es am späten Vormittag leer in Prenzlauer Berg und Mitte. Am S- und U-Bahnhof Schönhauser Allee beispielsweise: Nur unter dem Dach des S-Bahnsteigs scheint menschliches Leben übriggeblieben zu sein. Abgesehen von fünf musizierenden Bettlern oder bettelnden Musikern, die trotzig aufspielten. Vielleicht hatten sie schlicht nicht bemerkt, dass gestreikt wird. Sie standen vor dem Aufgang zur verwaisten U-Bahn.

Es war so leer, dass ich mich an einen bestimmten Hollywoodfilm erinnert fühlte. Der ist ziemlich bekannt, weil Will Smith mitspielt und viele Zombies. Der Katastrophenschinken heißt "I am Legend" und erzählt davon, wie ein Biowissenschaftler (Smith) nach dem Wüten eines tödlichen Virus allein im menschenleeren New York zu überleben versucht. Sein einziger Freund ist sein Schäferhund. Nachts verbarrikadieren sich Herr und Hund, denn vom Virus zu hirnlosen und lichtscheuen Kannibalen mutierte Mitbürger möchten ihn essen. Ich finde diesen Vergleich sehr passend.

Erstens wirkt Berlin wie ausgestorben: Nicht nur die Schönhauser Allee, auch der Hackesche Markt, Unter den Linden und der Gendarmenmarkt sind fast menschenleer. Zweitens: Wie Untote irren die wenigen Menschen durch die Stadt. Die meisten sind mit Kameras und Stadtplänen bewaffnet. Die traurige Musik dazu liefert vor dem Konzerthaus ein einsam spielender Saxofonist mit Sonnenbrille, der Bach-Kantaten interpretiert. Touristen und Straßenmusiker: Warum sind gerade diese Spezies immun gegen Katastrophen?

Eine gute Sache hat der BVG-Streik. Die minderwertigkeitskomplexbeladene Hauptstadt ist zwar nicht beim Lärm, aber bei der Stille endlich auf Weltniveau. Wofür New York eine arbeitsintensive Pandemie braucht, schafft Berlin per schnöden BVG-Streik. Und jetzt kommen Sie mir nicht mit Vorhaltungen wie: "Der Vergleich ist jetzt aber echt ziemlich weit hergeholt." Will Smith hat doch auch keiner dreingeredet. MATTHIAS LOHRE

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