■ Kolumne: Über die deutsche Angst, peinlich zu sein
1von Detlef Diederichsen
å Kolumnist Diederichsen reist gerne. Diesmal hat es ihn zur privaten Erholung nach Portugal verschlagen. Von dort erhielten wir ein Fax, das diesmal zwar aus beiden dazugehörigen Seiten bestand (aus Seattle, wir erinnern uns, kam jüngst nur eine Hälfte), dafür aber diverse Aussetzer aufwies. Da wir auch unter „bewußtseinserweiternden Drogen“ den Text nicht vervollständigen konnten, der Sinn aber davon nicht angetastet scheint, drucken wir ein weiteres Fragment aus der Ferne.
Das Unbewußte - unendliche Weiten. Und doch: in dem Land, in dem es entdeckt, erforscht und seinen Namen bekommen hat, wird ihm wenig Vertrauen entgegengebracht - wie allen Dingen, die fremd und seltsam sind. Vielleicht ist das die Ursache für den - vom „Butt“ bis zum „Billard um halb zehn“, von Flimm bis zu den Fantastischen Vier - so ausgesprochen (unleserliches Wort) der deutschsprachigen Kultur. Wer sich jemals „bewußtseinserweiternden“ (also nicht zudröhnenden) Rauschmitteln oder auch nur Halbschlafzuständen kontrolliert hingegeben hat, weiß, daß im Unbewußten die Kreativität wohnt. Seit ich mal mit ungefähr 16 bei Al Koopers „Soft Landing On The Moon“ (ein Hammond-Orgel-Ton, dessen An- und Abschwellen und Vibrato Kooper über sein Leslie-Pedal manipuliert) fast einschlief (und kurz vor dem Hinüberdämmern wieder geweckt wurde), weiß ich um seine Kraft und seine Intelligenz. Es entdeckt nämlich Strukturen und Analogien, wo wir keine vermuten. Wenn mir Freunde von ihren LSD-Trips berichten, Klänge geschmeckt und Bilder gehört zu haben, wundert mich das nicht. Es ist meiner Ansicht nach die Wirkungsweise von Musik, daß sie der Struktur von Emotionen entspricht. Ich denke, daß man in einer sehr fernen Zukunft (u.W.) diese Formen innerhalb unserer Gefühlswelt deuten und übersetzen kann, ja, daß man im Zuge dessen auch Musik entschlüsseln und somit wissenschaftlich exakt auf ihre Qualität untersuchen kann, etwa, ob sie (u.W.) Mitteilungen enthält, und ob sie nicht lügt.
In Deutschland haben die Kulturschaffenden vor allem eins: Angst. Angst, Scheiße zu bauen, peinlich zu sein oder aus Versehen und Unüberlegtheit einen Standpunkt zu transportieren, den sie eigentlich falsch finden. (u.W.) ist nichts anderes als das „politically correct“-Problem, das derzeit in den USA grassiert und hierzulande zumindest schon seit den Spät- 60ern zur Selbstunterdrückung einer jeden auch nur leicht exzentrischen Haltung führt. Deswegen ist hier sogar eine Sache wie die Popmusik fest in den Händen der Intellektuellen, während sie in England eine Sache ist, die größtenteils die Unterschicht hervorbringt, und die von Armeen von Intellektuellen wöchentlich in NME, Melody Maker und Sounds unter die Lupe genommen und kommentiert wird.
(u.W.) sämtliche L'Age D'Or- Bands aus Literaturstudenten oder verkrachten Aktionskünstlern bestehen, während sich Prolls nur über Heavy Metal der Old School artikulieren, ist ja wohl auch nicht in Ordnung. Gaaaanz wenige - Helge Schneider ist der einzige, der mir spontan einfällt - erlauben (...) in freiem Lauf davonzugaloppieren. Normalerweise ist ein bewußter Wunsch („Ich möchte ein Lied schreiben, das die rechten Tendenzen auf den Punkt bringt“) Vater des schöpferischen Produkts. Und dann geht's in die Hose.
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