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■ KolumneDie Pest auf Rädern hat Flankenschutz

Die alten 68er, jedenfalls die echten, also die erste Generation, waren eigentlich ganz sympathische Knaben. Die Probleme begannen erst mit der 3. und 4. Generation von Alt-68ern, die so um '75 herum die Losungen von vor sieben Jahren nachbleierten. Jetzt haben wir dasselbe Problem mit den alten 82ern. In aller Deutlichkeit war das jüngst im Magazin der Süddeutschen Zeitung zu sehen. Darin wurde einem die Jugend von heute vorgestellt, die, weil sich alles so rasend schnell verändere, für uns Außenstehende überhaupt nicht mehr zu verstehen sei. Es gab also eine Art In- und Out-Liste (Hallo, 82!), über Turnschuhe, Sex und Autos wurde dahergefaselt, also der gesamte - ich weiß, ich wiederhole mich, aber es gibt ja zur Zeit kaum ein Mißverständnis, auf das man häufiger stößt - damals aus rein taktischen Gründen angelegte '82er-Stilkanon 'rauf und 'runter nachgebetet, als sei er ein Wert an sich.

Natürlich ist schon die Prämisse falsch. Denn von wegen rasend schnelle Veränderung: Wie vor zehn Jahren finden es die Menschen unter 35 immer noch am erregendsten, wenn Peter Gabriel ein Konzert gibt oder Phil Collins eine neue Platte veröffentlicht. Für Luscious Jackson, Freestyle Fellowship oder Das neue Brot interessieren sich eigentlich nur ein Prozent der Musikjournalisten und deren sechs Freunde. Aber soweit ist jener Artikel nur kurios anachronistisch und ein bißchen doof. Doch dann kommt es dahin, wo der Autor empfiehlt, CDU zu wählen, weil deren Abgeordnete schicker angezogen seien.

Spätestens da wird deutlich, daß Leonard Cohen recht hatte, als er sang: „Get ready for the future / it is murder!“ Es wird offensichtlich tatsächlich alles immer schlimmer. Wie sehr werden wir uns die drögen 70er zurückwünschen, die wir '82 in unserer jugendlichen Erregtheit unbedingt zum Teufel jagen wollten. Heute verbreiten sich proto-faschistische Alt-Intellektuelle im Spiegel, Marketing-Spezialisten dürfen sich für Philosophen halten, Reklame ist Kunst und die eigenen Sätze von vor elf Jahren werden einem so lange im Mund umgedreht, bis man sie sogar als Wahlkampfhilfe für die CDU mißbrauchen kann.

Natürlich sind das alles Beulen ein- und derselben Pest. In wenigen Jahren wird ein Alt-82er der 9. Generation meinen finden zu dürfen, Goebbels sei eigentlich ein „echt cooler Typ“ gewesen. Botho Strauß, Enzensberger, Faith Popcorn und ein paar naßforsche Formulierowitsche, die für die Zurschaustellung ihrer Grammatikbeherrschung und intimen Konjunktivkenntnisse noch 'ne echt originelle Meinung brauchen, werden ihm Flankenschutz geben. Können wir das noch verhindern? Vermutlich nicht. Aber was sollen wir sonst tun?

Detlef Diederichsen

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