■ Kolumne: Eine Jugend von gestern
von Detlef Diederichsen
„The young grow younger every day / while I have little left to say“ (Burt Bacharach/ James Kavanaugh: „The Young Grow Younger Every Day“)
Früher (zur Zeit mein Lieblingswort), früher also begab es sich so ungefähr alle drei bis vier Monate, daß sich Revolverblätter wie die Bild und der Stern mangels frischer Titten- oder Massenmordfotos des Themas „Jugend von heute“ annahmen (irgendeine neue Jugendstudie gibt es schließlich immer). So fand Bild seit ungefähr '71 immer wieder heraus, daß die Jugend wieder romantisch ist, heiraten und zwei Kinder haben will und Sex vor der Ehe unmoralisch findet, während der Stern den Nachwuchs als angepaßt, marteriell, unpolitisch und ohne Ideale entlarvte.
Seit einiger Zeit halten diese beiden Blätter meines Wissens die Klappe. Schade. Stattdessen schmieren Tempo und Prinz der von ihnen angestrebten Zielgruppe Honig ums Maul und erzählt ihr wie super sie ist: schlau (natürlich), schön, romantisch, politisch, weitsichtig, sensibel, künstlerisch hochbegabt etc. blabla. Manchmal habe ich das Gefühl, die Kiddies glauben diesen Unsinn (was natürlich alle der aufgezählten Eigenschaften widerlegen würde.)
Um das Gleichgewicht wieder herzustellen, möchte ich hier kurz die Jugend von heute ein wenig beleidigen. Nur ein wenig, denn ich denke, sie ist schon arm genug dran. Sie setzt sich falschrumme Baseballkappen auf, findet es voll witzig, gräßliche 70er Jahre Klamotten zu tragen, weil sie dieses Jahrzehnt nur aus der Babykarren-Perspektive kennt, setzt sich nicht gegen alberne Angeber und Doofmänner wie Atari Teenage Riot zur Wehr, glaubt der deutschen Sprache per Reimzwang beikommen zu können (“deutscher Hip Hop“ nennt sich dieser Irrtum) und läßt sich von Werbekampagnen vereinnahmen, die sich noch dööfere ältere Herrschaften meiner Generation ausgedacht haben. Wir haben ja früher nur gelacht, wenn sich C&A oder Young Fashion Shop und Jingler's Jeans mit uns gemein machen wollte. Der 1994er-Teenager ist dagegen, so scheint mir, von Diesel-Jeans-Werbung stark beeindruckt, jene Fotoserie, die vollmundig als „How To...' Guide to Successful Living for people interested in general health and mental power“ untertitelt ist. Dabei geht gerade aus diesen Bildern deutlich hervor, daß die Fettsäcke, die zehn Burger mit Fritten brauchen, wesentlich realer, lebendiger und angenehmer sind, als jene leer blickenden jungen Menschen, die sich bemühen, den fröhlichen Dicken mit ihren Augen sowas wie Verachtung zu signalisieren. Werdet erwachsen, Jungs, dann merkt ihr auch, daß in öffentlichen Verkehrsmitteln die interessanteren Menschen auf der Raucher-Seite sitzen (das sage ich als Nichtraucher), und daß, wer „mental power“ anstrebt, am besten bei den Scientologen oder in einer Nazi-Partei aufgehoben ist.
Aber wie gesagt: Der Jugend geht's schon dreckig genug. Was nicht zuletzt daran deutlich wird, daß sie immer älter wird: In den 60ern hatten man mit 20 das Leben schon hinter sich, heute werden 22jährige Künstler „Wunderkinder“, trauen sich die meisten erst Mitte 20 bei den Eltern auszuziehen, beginnt allgemein das Erwachsenendasein nicht mehr mit 16, sondern mit 24.
Song für April: „Hang 'Em All“ vom Tom T. Hall (von I Witness Life, 1969)
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