■ Kolumne: Endlich quatschende Häuser töten!
„Draußen begingen Architekten Verbrechen“, beendete ein Freund eine Restaurant-Kritik über den Marinehof (eigentlich war der Text nur eine als Restaurantkritik getarnte Abrechnung mit zwei Feinden, aber das soll jetzt keine Rolle spielen). „Hier baut die Stadt Entenhausen ein zwar nicht dringend benötigtes, aber formschönes Verwaltungsgebäude“, steht an einem Bauzaun, an dem Goofys Neffe Alfons in einer „Supergoof“-Geschichte vorbeigeht. „Lieder sind geschmolzene Stadthallen“, behauptet Max Goldt.
Wie das alles zusammenpaßt? Na, isdochklar: Nicht dem Thema „Pop und Politik“ sollte der Spiegel ein Spiegel-Spezial widmen, denn das ist alter Käse (nicht umsonst hieß so eine NDR 2-Sendung in den frühen 70ern), alter Alter-82er-Käse, der zum Himmel stinkt (worüber ich mich aber nicht schon wieder ereifern kann). Das Thema müßte heißen: Pop und Architektur.
Ein Beispiel? Gerne. Neulich. Ich auf dem Weg zum Knust. Tom-Liwa-Auftritt. Der Weg führt mich an einem Gebilde vorbei, an dem „Zürich-Haus“ steht, und das so unglaublich Bunuel-haft surrealistisch wirkt, daß ich mir überlege, ob ich Opfer eines Alkohol-Flashbacks geworden bin (medizinisch geschulte Leser: gibt es sowas?). Oder sind meine alten Faller-Häuser (die auf meiner Eisenbahnanlage standen) erwachsen geworden und in die Stadt gezogen? Wie machen es diese gräßlichen neuen Architekten eigentlich, daß ihre Bullaugen-gespickten scheußlichen Häuser alle so fragil aussehen? Als wären die Wände aus handgeschöpftem Seidenpapier und Türen, Fenster, Menschen in den Fenstern, Mörtelfugen nur aufgemalt? Hat jemand mal den 70er-SF-Fernsehfilm „Welt am Draht“ gesehen? Message des Films: Die Wirklichkeit ist gar nicht wirklich, sondern eine technisch-elektronische Konstruktion von Aliens. Irgendwann fällt der Strom aus (oder so) und man sieht ganz kurz mal die Wirklichkeit: Drahtpuppen statt Menschen, Gerüste, Schläuche, Kabel statt Häusern, Straßen, Himmel, Dingen. Dazu passend: das „Zürich-Haus“. Das G&J-Haus am Hafen. Und die halbe Ost-West-Straße, die Admiralitätstraße, halb Hamburg, so wie es der böse außerirdische Eroberer Voscherau seit Beginn seiner Amtszeit hat hochziehen lassen.
Denn Hamburg war mal schön. Man gehe in den „Silbersack“ und sehe sich die dort aufgehängten Bilder aus alten Zeiten an. Und da sagt dann Liwa in besagtem Knust-Konzert, er habe das Gefühl, Hamburg habe es nicht mehr. Im Privatgespräch ergänzt er, Hamburg hätte es seiner Einschätzung nach vor zwei oder drei Jahren gehabt. Ein Unterschied, der mir nicht aufgefallen ist. Bunke sagt, Hamburg hätte es Anfang der 60er gehabt, vielleicht auch schon Ende der 50er, die „Palette“-Ära, über die Fichte so leuchtend in gleichnamigem Buch schrieb. „Palette“-Kenner sagen, die „Palette“ sei längst auf dem absteigenden Ast gewesen, als Fichte dort zum erstenmal hinging. Ich sage: Häßliche Häuser töten es. Wo sind die Superhelden, die häßliche Häuser töten? Ist unser Da-sein denn nicht schon entfremdet, surreal, Welt-am-Draht-haft genug? Warum gibt es keine Volksabstimmungen über Städteplanung? Warum kann das Gesicht unserer Vaterstadt in eine häßliche Fratze umgewandelt werden, ohne daß alle auf die Straße gehen? Außer Architekturstudenten-Pack habe ich noch nie jemand getroffen, der diese Häuser verteidigt. (Ein Architekturstudent über das G&J-Haus: „Dieses Haus erzählt Geschichten...“ - Ich will aber nicht von Häusern blöd angequatscht, ach, was sage ich: angeschrien werden.)
Lied für Mai (wirst du eine Wonnemonat, oh Wonnemonat Mai): „Unlock Your Door“ von Bob Lind (gerade erschienen: eine CD mit den ersten beiden Platten von Bob Lind, leider nur als EMI-US-Import erhältlich, lohnt sich aber unbedingt.)
Detlef Diederichsen
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