■ Kolumne: Schöne Autos und häßliche Schiffe
Es muß 1980 gewesen sein, da entdeckte ein in Hamburg lebender junger Schweizer Fotograf, der ein nicht unbegabter Bluesgitarrist war, die Freuden des Synthesizer-Spielens und produzierte zusammen mit einigen Gesinnungsgenossen eine Doppel-LP mit den ersten Ergebnissen seiner elektronischen Entdeckungsreisen. Als es an die Covergestaltung ging, besorgte er sich einen Stapel weißer Doppelalbum-Hüllen und verteilte sie im Wohnzimmer seines geräumigen Appartements an der Rothenbaumchaussee. Dann goß er mehrere Farbeimer darüber aus und vollzog in der Soße mit seiner britischen Freundin den Geschlechtsakt. Titel der Platte: Das ist Schönheit.
Ist das also die Antwort auf die große Menschheitsfrage, was schön ist und was nicht? Ich hatte in den letzten Wochen des öfteren Anlaß, darüber nachzugrübeln. Ich sah mir zweimal Louis Malles Vanja On 42nd Street an. Zuerst mit einem alten Freund und Diskussionspartner, und wir waren uns beide einig, in den letzten drei Jahren keinen besseren Film gesehen zu haben. Dann mit einer Freundin, die mir wichtig ist, die aber während der Vorstellung immer zappeliger wurde, um mir anschließend zu drohen: „Mach sowas ja nicht wieder mit mir!“ Alle meine Ausführungen über Schönheit und Wahrheit konnten sie nicht weiter beeindrucken, da sie den großartigen Hauptdarsteller Wallace Shawn einfach eklig fand: „... und immer wenn er sich so über die Frauen beugte, hätte ich kotzen können!“
Es ist eine böse, wenn auch traditionsreiche Sitte, den Boten für die Botschaft zu bestrafen bzw. ihn für einen Teil ihrer zu halten.So geriet ich neulich zu meiner Überraschung doch noch mal in eine jener CD-Vinyl-Debatten, die ich eigentlich schon für so gut wie ausgestorben hielt. Da sagte einer, daß CDs grundsätzlich häßlich und Platten grundsätzlich schön seien. Für mich ein absurder Standpunkt, so als würde man sagen, Autos seien schön und Schiffe häßlich. Ich kann jedoch nachvollziehen, daß einem angesichts einer CD alle Übel der Plattenindustrie einfallen. Nur kommt das kleine, geheimnisvoll in den Regenbogenfarben schillernde Ding frei von Schuld auf die Welt. Das Böse sitzt woanders und heißt Rockmusiker, Marketingdirektor oder Senior Chief Executive Consultant President.Schönheit ist der in den Regenbogenfarben schillernde Körper nach dem Geschlechtsakt. Und die Sache mit der Erbsünde überlassen wir doch lieber der katholischen Kirche.
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