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Kolumne press-schlagProzess der Verhärtung

Kolumne
von Markus Völker

Bundestrainer Joachim Löw gibt sich in der letzten Zeit gern autoritär. Masche oder Wandlung?

E s ist ja eine Binsenweisheit, dass der Mensch von den Umständen geprägt wird. Das Sein infiltriert das Bewusstsein, und schwuppdiwupp leidet so ein Mensch an einer déformation professionnelle. Politiker, heißt es bisweilen, werden korrupt und verlogen, Chefs verschlagen und fies, Fußballtrainer ruppig und neunmalklug.

Joachim Löw, der Bundestrainer, ist jetzt schon fast zwei Jahre in einem Amt, das zu den öffentlichsten dieser Republik gehört. Argusäugig spähen die Kenner auf Löws Tun, Scharen von selbst ernannten und berufsmäßigen Experten bewerten gern und oft seine Arbeit. Löw ist extrem exponiert, und hätte dieser Mann eine weiche Hülle, sie würde durchschlagen im Stahlgewitter der medialen Kritik. Doch Joachim Löw ist erstaunlicherweise ohne große Schrammen davongekommen. Er mag von allen Jogi genannt werden, und eine Zeit lang, wie die Süddeutsche Zeitung geschrieben hat, "eine ernste Konkurrenz für Knut, den Eisbären" beziehungsweise Günther Jauch gewesen sein, doch Löw ist weder knuddelig noch clownesk. Löw wuchert in erster Linie mit einem Pfund, das vor Angriffen von außen schützt und die innere Autorität stärkt: Authentizität. Herzerfrischend echt wirkte er nach den schmierenkomödiantischen Auftritten seines Vorgängers Jürgen Klinsmann.

Löw zeigte sich zudem als Pragmatiker. Hintersinniger Taktiker war er meist nur an der Schiefertafel. Auf natürliche Weise ist sein Ansehen gewachsen, nur einmal schien das System Löw ins Wanken zu geraten - als die altgedienten Nationalspieler um Torsten Frings und Michael Ballack an Löws Autorität kratzten; Kuranyis Aus war nur ein spätpubertärer Irrlauf und deswegen weniger bedeutungsvoll.

Der Bundestrainer reagierte dennoch überraschend bockbeinig auf die Geschehnisse. Zum ersten Mal schien es, als wäre Löw in eine Rolle geschlüpft - in die des harten Hundes. Spielte er also nur den Unduldsamen oder trat etwas zutage, was er stets zu unterdrücken verstand? Auch die Nichtberücksichtigung von Lukas Podolski für das Länderspiel gegen Norwegen am Mittwoch spricht für Löws Wandlung. Sie wirkt wie eine Strafmaßnahme für ein Enfant terrible, das wegen mangelnden Ehrgeizes büßen muss.

Mit den erfahrenen Nationalspielern muss Löw sich noch bis zur Weltmeisterschaft in Südafrika arrangieren, die Jungen indes, die er nimmermüde beruft, testet und einbindet, sind seine wahren Platzhalter in der Mannschaft, sie repräsentieren das System Löw. Er wird am Ende seines Schaffens sein, wenn er 22 willige Rollenspieler im Team hat, Jungprofis, die dem Trainer an den Lippen hängen. Wenn das erreicht ist, muss Löw auch nicht mehr den bad guy spielen und darauf bestehen, dass er - verflixt und zugenäht - am Ende des Tages die Entscheidungen treffe. In naher Zukunft darf Joachim Löw wieder er selbst sein. Der Jogi halt.

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Redakteur
Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.

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