Kolumne press-schlag: Die verschwundene Mittelklasse
Die Bundesliga teilt sich in diesem Jahr in Meisterschafts- und Abstiegskandidaten und das Mittelmaß scheint auf Schalke, Dortmund und Bremen zusammenzuschmelzen.
K eine Frage, die Meisterschaft ist eine schöne Sache, es macht Spaß mitzumachen, vor allem für diejenigen, von denen niemand den Titel erwartet, zumindest nicht ganz ernsthaft, also von Hoffenheim, Hamburg, Hertha, Wolfsburg und Stuttgart und vielleicht auch von den Bayern. So groß ist er nämlich in diesem Jahr, der Kreis der Kandidaten im Titelkampf; es gibt niemanden, der chancenlos wäre, selbst die Bayern nicht.
Weil permanent Höhenluft die Ausdauer enorm verbessern soll, ist den Wolfsburgern manches zuzutrauen, wenngleich Felix Magath sich noch nicht ganz sicher ist, ob die Leistung der Mannschaft für den Uefa-Cup reicht. Solch nonchalante Untertreibung wäre gar nicht nötig. Vielleicht hat Magath sich einfach nur vertan. Denn wo früher der Uefa-Cup eine heiß umtanzte Veranstaltung war, scheinen sich sämtliche Interessenten, die sonst schon mal vorsorglich vor der vermeintlichen Münchner Macht kapitulierten, sich auf den Titelkampf verlegt zu haben. Vermutlich glaubt man sich dort einfach in besserer Gesellschaft.
Der Fußballfan erlebt in dieser Saison vor allem eines: ein Ende der Bescheidenheit, mögen die Parolen der Cheftrainer auch anders klingen. Joe Simunic, der Herthaner, hat den Fans zwar den Titel versprochen, aber das heißt ja noch lange nicht, dass jeder Unfug auch eingehalten werden muss. Jedenfalls geriert sich ein halbes Dutzend Klubs plus X ungefähr so, als gäbe es den Titel im Winterschlussverkauf. Die Ehrfurcht vor dem Münchner Monopol ist weg, und nebenbei illustriert das ambitionierte Halbdutzend prächtig, was in der Bundesliga vor sich geht: Das Mittelmaß scheint zusehends auf die Kameraden aus Schalke, Dortmund und Bremen zusammenzuschmelzen.
Die alten Renommierklubs sind die heutigen Mittelfeldgiganten, und jetzt könnte man natürlich diskutieren, ob die Bundesliga sich zur gesellschaftlichen Avantgarde in schweren Zeiten aufschwingt und was dies über den Fußball als Barometer der Zeitläufe aussagt. Denn auch unten in der Tabelle ist ordentlich für Spektakel gesorgt. Mit Bochum, Mönchengladbach, Karlsruhe, Hannover, Cottbus, Bielefeld, Frankfurt und an ganz schlechten Tagen auch Köln steckt fast die halbe Liga im Existenzkampf. Die neu geschaffene Relegationsrunde ist nicht nur eine Modifikation im Abstiegskampf. Sie ist gewissermaßen die Meisterschaft des kleinen Mannes, die allemal interessanter ist als ein verbissener Fight um Rang neun.
Das ist zwar tragisch für diejenigen, die sonst immer zwischen dem achten und vierzehnten Tabellenplatz ein sorgenfreies Dasein genossen, aber ein Segen für all diejenigen, die am Fußball noch ein wenig das Spannungsmoment schätzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!