Kolumne nebensachen aus brüssel: Palazzo misto
Das denkwürdige Gespräch findet in einem kleinen italienischen Palazzo in Brüssels Türkenviertel statt, der bis in die 90er-Jahre der Korsagennäherei diente...
In der Einfahrt steht eine alte Isetta, und an der Decke hängt ein prachtvoller Leuchter aus Muranoglas. Paula, die bei der EU-Kommission arbeitet, ist eine kühne Innenarchitektin. Ihre Mitschüler aus der Musikschule hat sie zu einem Abschiedsabend geladen, bevor die kleine Stadtteilakademie für den Sommer schließt.
Wir sitzen im Patio am weiß gedeckten Tisch, der mit Rosen aus dem eigenen Stadtgarten geschmückt ist. Es gibt Wein aus dem ärmlichen Abruzzendorf, wo Paulas Mann aufgewachsen ist. Jeder Gast hat zum Menü etwas Typisches aus seinem Heimatland beigesteuert. Emanuel aus Ghana brachte frittierte Kochbananen. Er hat den schönsten Bariton an unserer Schule, erhebt ihn aber nur zum Lobe des Herrn, singt Messen und Gospel. Wenn er sein "Joshua fit the battle of Jericho" anstimmt, wackeln die Wände unserer kleinen klapprigen Stadtteilschule. Donatella aus Mailand ist der Liebe wegen in Brüssel. Sie arbeitet als Sekretärin bei einem italienischen Verband und ist mit einem Flamen verheiratet. Philip, der im Eurokratenviertel den Damen die Köpfe frisiert, hat seinen braun gebrannten Freund mitgebracht. Im dunkelblauen Blazer und mit Goldkettchen sieht der aus wie ein italienischer Marineoffizier. Es stellt sich aber heraus, dass er Belgier ist und für eine gemeinnützige Stiftung arbeitet.
Bruna aus Albanien lebt seit 1999 in der Stadt. Sie hat keine blaue Ausweiskarte wie wir anderen, sondern eine orange. Das bedeutet, dass sie in Belgien nur geduldet ist und nicht arbeiten darf. Die Blätterteigtaschen mit Spinat für unseren Abschiedsabend hat sie in der Gemeinschaftsküche der kirchlichen Wohlfahrtseinrichtung zubereitet, wo sie seit neun Jahren lebt. In den Stiftungshäusern wirtschaften bis zu 20 Menschen gemeinsam, bauen Gemüse an, betreiben Secondhand-Läden. Bruna erhält nur ein Taschengeld und kann keine Ausbildung machen, weil sie tagsüber in der Gemeinschaft mitarbeiten muss. Beim Abschlusskonzert trat sie im Abendkleid auf. Sängerin zu werden oder Geld verdienen zu dürfen, das ist ihr Traum. Emanuels Muttersprache ist Akan, eine der ghanaischen Landessprachen. Er lebt seit zwölf Jahren in Brüssel und arbeitet als Schweißer und Elektriker in einer flämischen Gemeinde. Das schnelle Französisch bereitet ihm Schwierigkeiten. Jemand übersetzt für ihn ins Englische, was Bruna erzählt hat. "Sie sollten die jungen Menschen, die hier sind, arbeiten lassen", sagt Emanuel. "Das wäre auch für die belgische Gesellschaft besser."
Fast alle am Tisch nicken. Doch die zierliche Donatella wettert plötzlich los: "Wir haben ein Riesenproblem mit diesen Rumänen. Sie sind alle kriminell, und wenn wir sie rauswerfen, heißt es, wir wären Rassisten." Die Stimmung in Italien sei wohl ziemlich aufgeheizt, wendet jemand ein. Es habe eine Vergewaltigung gegeben und seither stünden alle Roma unter Generalverdacht. "Das war Mord!", spuckt Donatella. Es sei ein Skandal, dass die Einwanderer in Italien nicht legal arbeiten dürften, antwortet Paulas Mann wütend. Als sein Vater krank war, habe er keine Pflegerin finden können. In stockendem Französisch lädt uns Emanuel in seine Kirche ein. Es sei nicht richtig, dass dort die Ghanaer immer unter sich blieben, das habe er dem Pastor schon oft gesagt.
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