Kolumne in fußballland: Ohne Gesichtsbehaarung und Kohle
Ein Besuch bei Rot-Weiß Oberhausen kann öde sein. Doch diesmal passierte das Undenkbare: Es gefiel.
Obwohl es regnerisch war und saukalt, dachte ich: "Schön hier", und dieser Satz wäre früher im Zusammenhang mit Rot-Weiß Oberhausen unvorstellbar gewesen. Denn RWO war stets der ödeste Profiklub im Ruhrgebiet, auch wenn er in den Siebzigerjahren dafür gesorgt hatte, dass in Fankurven das Wort "verschmausen" zu hören war. Es war Teil eines heute fast vergessenen Wechselrufs: "Wen wollen wir verschmausen?" - "Rot-Weiß Oberhausen!" - "Wen wollen wir fressen?" - "Rot-Weiß Essen!" - "Und wen wollen wir lynchen?" - "Bayern München!"
Das stammte aus den vier Jahren, als RWO in der Bundesliga kickte und in den Bestechungsskandal verwickelt war, um anschließend immer wieder mal skandalverschattet durch die Zweit- bis Viertklassigkeit zu irren. Dabei verbreitete der Klub meistens den Eindruck, als würde er wie eine Autoverwertung geführt. Es gab dazu über viele Jahre auch einen Präsidenten, bei dem man den Eindruck hatte, er würde einen Haarersatz nicht nur auf dem Kopf, sondern auch unter der Nase tragen. Wie man in dem zwischen der Emscher und dem Rhein-Herne-Kanal (im allerweitesten Sinne) lauschig gelegenen Niederrheinstadion noch heute glauben könnte, dass "Oberhausen" das lateinische Wort ist für "Stadt, in der dicke Männer mit Schnäuzern leben".
Allein schon deshalb ist Hajo Sommers anders. Weil der RWO-Vorsitzende vor lauter Rauchen kaum zum Essen kommt, ist er rappeldürr. Eine Gesichtsbehaarung trägt er ebenfalls nicht, aber Sommers hat den für einen Oberhausener am wenigsten vorstellbaren Job: Er ist Theaterchef. Seine Bühne heißt Ebertbad und spielt gerade ein Stück mit dem schönen Titel "Kalte Colts und heiße Herzen". Dort wird die Frage geklärt, wie viel Ehe ein Cowboy verträgt. Man muss nicht befürchten, intellektuell überfordert zu werden.
Auch RWO wird wie ein Stück am Boulevardtheater inszeniert. Bei "Malocherschicht die II.", so der Slogan für diese Saison, handelt es sich um die Nachfolge des Erfolgsstücks aus dem Vorjahr, als die Mannschaft aus der Regionalliga aufstieg. Der Untertitel "Wir haben alles außer Kohle", beschreibt die wirtschaftlichen Möglichkeiten in der neuen Spielklasse einigermaßen genau, aber auch einen gewissen Trotz dem Profifußball gegenüber. Beim ersten Heimspiel nach der Winterpause versprach die Stadionzeitung, dass die im Winter herbeitransferierten Spieler den Geist des Klubs bereits verstanden hätten: "Die Neuen machen sich auch gern dreckig."
Das klang sexuell, aber gemeint war, dass im Ruhrgebiet die Erinnerung an die Drecksarbeit gefeiert werden muss, weil sie verschwunden ist. So werden auf der rot-weißen Malocherschicht die Fans von RWO als "Fankolonne" geführt und die Mannschaft als "Kolonne Luginger". Wobei Trainer Jürgen Luginger nach dem Aufstieg mit dem jetzigen Manager Hans-Günter Bruns die Arbeitsplätze tauschte. Bruns hatte keine Lust dazu, in der neuen Spielklasse verpflichtet zu sein, mit Journalisten, und das sogar vor Fernsehkameras, über seine Arbeit zu sprechen. Jetzt sitzt er als erdschwerer Buddha dabei, ohne sich äußern zu müssen.
Man ahnt also langsam, was wirklich der Dreh bei Rot-Weiß Oberhausen ist: Diese Leute sind in einem fast britischen Sinne Exzentriker. Aber sie wissen, was sie tun, und freuen sich auch, wenn die neue Mär von ihrem Klub über die Grenzen der Stadt hinausgetragen wird. Dort wird sie vielleicht von einem potenziellen Sponsor gehört, der bei Rot-Weiß Oberhausen dann nicht mehr "langweiliger Zweitligist", sondern "spinnerter Klub für Eigensinnige" denkt. Auf dass er irgendwann nach einem Spiel im Niederrheinstadion zum Gasometer-Turm hinüberschaut und das "Oberhausen-Lied" von Gerburg Jahnke hört. Die war früher Teil des Kabarettduos Missfits, lebt immer noch mit Sommers zusammen und singt: "Oben auf m Gasometer im Sturmesbrausen, und alles, watte siehst, ist: Oberhausen." Und es kann dann passieren, dass man das Undenkbare denkt: "Schön hier."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Problematischer Vorstoß der CDU
Stigma statt Sicherheit
Musks AfD-Wahlempfehlung in der „Welt“
Rocky Horror Springer Show
Kleinparteien vor der Bundestagswahl
Volt setzt auf die U30
Reichtum in Deutschland
Geldvermögen auf 9,3 Billionen Euro gestiegen
Silvester in Berlin
Kein Ärger in Verbotszonen
Willkommenskultur in Deutschland
Gekommen, um zu bleiben?