Kolumne Zumutung: Mach das weg!

Muss man wirklich Kinder und die nervigen Auswüchse ihrer Menschwerdung ertragen? Na, raten Sie mal!

Sitze eines Flugzeugs.

Ob hier noch ein Platz frei ist, für ihr gerade ausrastendes Kind? Ui, äh, lassen Sie mich überlegen... Foto: ap

Langsam wird das zur Gewohnheit. Was stört, muss weg. Gemeint sein kann alles, was geeignet erscheint, meinen Morgen/meine Woche/mein wertvolles Leben in irgendeiner Weise ungünstig zu beeinflussen.

Das ist irgendwie anstrengend - kann das nicht weg? So in etwa mag das Bordpersonal eines United-Fluges gedacht haben, als kürzlich ein zwei Jahre alter Junge im Flieger keine Ruhe geben mochte. Er heulte rum, machte Sperenzchen, kurzum er tat nicht, was doch jeder vernünftige Mensch in einem Flugzeug zu tun gehalten ist: sich mit Gurten festschnüren lassen und dann Ruhe bewahren.

Kann das nicht weg?, dachte man sich also auf dem Flughafen von San Francisco, dieses Kind nervt. Kurzentschlossen bat man die mitreisende Mutter, den Flieger mitsamt ihrer Brut zu verlassen. Blöd für die Airline, dass diese Mutter eine Musikerin war, die den Vorgang nicht nur twitternd der Öffentlichkeit zur Kenntnis brachte, sondern lustigerweise auch noch in einer Band mit dem sprechenden Namen “Walk off the Earth“ singt. Zum Verlassen eben dieser Erde kam es also nicht, statt dessen durften Mutter und Sohn noch ein wenig die kalifornische Sonne genießen.

Weiß Gott, Kinder sind in der Lage, jedes noch so gute Nervenkostüm binnen kürzester Zeit kleinzuhäckseln. Immer mal wieder pflegt der Nachwuchs das zu tun, was wir Erwachsenen uns mühsam abgewöhnt haben: rumschreien, wild zappeln und gutes Zureden komplett ignorieren. Auch deshalb sind wir dankbar, wenn Kinder ihre Anfälle diskret, im Schutz der elterlichen Wohnung kriegen. Aber mitunter treffen wir es noch an im öffentlichen Raum: das ungezogene Kind. Und ja, dann denke auch ich schon mal: Kann das nicht weg?

Nein.

Kinder und die durchaus auch nervigen Auswüchse ihrer Menschwerdung zu ertragen, gehört zur gesellschaftlichen Grundkompetenz. Schon um ihren biestig guckenden Müttern und Vätern zu beweisen, dass ich als sozial kompetente Mitbürgerin es sehr wohl aushalten kann, dass Mama oder Papa trotz des kindlichen Getöses seelenruhig ihre Emails checken oder in der aktuellen Nido nachlesen, wie Erziehung funktioniert (Titelthema im Juniheft: „Ich zähle bis drei!“). Und wenn Frieda und Joost ungestört ihre Gummistiefel an meiner Jeans abzustreifen versuchen, bin ich ja immer noch in der Lage, den Ort des Geschehens deeskalierend zu räumen.

Vielleicht sollten wir wieder ein bisschen ertragen üben. Denn wo kämen wir hin, wenn alles aus dem Sichtbereich verbracht würde, was uns irritieren könnte? Weil wir aktuell nicht bereit dafür sind. Familien dürften dann nur noch in Schweigemarsch-Formation zügig die Innenstädte queren. Hunde könnte man auf ihrem Weg zur Kackwiese in schwere Geschirre sperren. Behinderte würden in verdunkelten Bussen von der Ergotherapie ins Heim gefahren. Antifeministische Journalistinnen müssten ihre Schreibtische räumen und dennoch ertragen, dass männliche Kollegen meinen, sich schützend vor sie werfen zu dürfen.

Dieses neue Das-soll-weg würde aus uns lauter kleine Lutz Bachmanns machen – das Pegida-Führerchen definiert ja auch gern, wer in seinem Freistaat Sachsen leben soll. Und wer nicht. Bachmanns Hund heißt übrigens Bärbel. Blöder Name. Stört mich. Kann der nicht weg?

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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