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Kolumne ZumutungWer rettet Maja?

Anja Maier
Kolumne
von Anja Maier

Küsschen, Mama! Satt und sauber ist das Kind der neuen Laubennachbarn. Aber sonst ist alles schrecklich.

Die Laube: sieht irgendwie gemütlich aus. Kann aber wirklich brutal sein. Bild: kleingarten

B edenkliches spielt sich jenseits meines Gartenzauns ab. Wo jahrelang die Laube von einem alten, stillen Mann genutzt wurde, hat neuerdings eine Berliner Familie ihr Lager aufgeschlagen. Die Herrschaften treffen regelmäßig am Freitagabend ein und werfen den Grill an sowie das Radio, sodass wir Nachbarn alle was davon haben. Und dann triezen sie Maja.

Maja heißt die drei Jahre alte Tochter meiner neuen Nachbarn. Ich weiß das, weil in einem fort nach ihr geblökt wird. „Komm her, Maja!“ – „Maja, nicht!“ – „Maja, sei jetzt lieb!“ Für Freunde zeitgemäßer Pädagogik ist die emotionale Knochenmühle, durch die diese kleine Berlinerin gedreht wird, eine Prüfung.

Erlaubt sich Maja zum Beispiel, vor dem Schlafengehen ein dem Alter entsprechendes Maulen anzustimmen, droht ihre Mama, sie augenblicklich, und zwar im Nachthemd, zur nahen S-Bahn-Station abzuführen. „Da kannst du dann allein nach Hause fahren, in dein Bett.“ Hat Maja keinen Appetit auf Nackensteak, muss sie ihren Saftbecher zurückgeben. „Wer nichts isst, muss auch nicht trinken.“ Hat sie sich wehgetan, wird sie aufgefordert, sofort das störende Heulen einzustellen. Hört Maja nicht auf, wird sie in die Laube verbracht, aus der ihr leises Schluchzen dringt.

Es ist ein Elend, dessen stumme Zeugin ich hinter der Hecke bin.

Letztes Wochenende nun hat es sich diese renitente Göre einfallen lassen, einzukacken. Eine schwere Provokation. Mit kippender Stimme blökte die Maja-Mutter: „Bist du noch ein Baby, ja?“

Hernach rief sie den Kindsvater herbei und forderte ihn auf, jetzt aber mal gemeinsam mit ihr „die Maja auszulachen“. Hahaha! Und Maja bekam den Befehl, sich jetzt mal „richtig zu schämen“. Schluchzen.

Das Schauspiel hinter meinem Gartenzaun war derart grausig, dass ich mich fragte, welches Jugendamt eigentlich zuständig wäre – das Berliner oder das Brandenburger? Ich wünschte mir sehr, vom Schicksal nicht diese Raubeine als Nachbarn zugewürfelt bekommen zu haben. Sondern statt ihrer so ein paar richtig überkorrekte Erklärbär-Eltern aus dem innerstädtisch gelegenen In-Bezirk.

Eigentlich bin ich eine Freundin des beherzten generationenübergreifenden Miteinanders. Kinder, finde ich, brauchen auch mal eine Ansage. Im späteren Leben kann es hilfreich sein, zu wissen, dass nicht alles in drei Durchgängen diskutiert und anschließend abgestimmt wird. Aber das hier, dieses Maja-Grauen, war weit mehr als nur ab und zu ein klarer Hinweis.

Ich sann darüber nach, wie unterschiedlich pädagogische Standards ausgeprägt sein können. So ein komplett durchgefördertes Bionade-Kind samt semiaggressiven Eltern geht mir gegen den Strich. Dann doch lieber hart, aber herzlich. Nun fragte ich mich aber, was genau „hart“ meint, speziell im Fall Maja. Kein Jugendamt würde hier eingreifen. Dieses Kind war satt und sauber, seine Eltern verbrachten die Wochenenden mit ihr im Grünen. Zudem: Maja liebt ihre Eltern. „Küsschen, Mama!“, höre ich sie hinter der Hecke sagen. „Küsschen, Maja!“ sagt die. Ach, Scheiße, denke ich.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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5 Kommentare

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  • Drei Jahre ist sie, also erste Trotzphase. In dem Zeitpunkt lernt Maja, dass ihre Bedürfnisse nicht die gleichen sind, die auch ihre Umwelt hat und entwickelt daraus eine Persönlichkeit. Hört sich danach an, dass aus ihr eine starke Persönlichkeit werden könnte, weil sie offenbar eine ganze Menge ausprobiert und auch vor dem Realismus der Eltern, dass eben nicht alles, was sie will, auch das ist, was alle wollen, zurückschreckt und es immer wieder neu versucht.

     

    Gut so, das Mädchen.

     

    Was fehlt ist zumindest in der Kombination, wie es die Autorin hier erlebt, die außerhalb der Erzieherrolle stehende Oma (oder vielleicht auch liebe Nachbarin), wo man sich mal zur Not hin flüchten kann, wenn man es mal etwas zu stark ausgereizt hat und die blöden Eltern einen auch noch auslachen, nur weil man eben kindisch ist in einer Zeit, in der man sehr kindisch sein muss.

     

    Da hilft tatsächlich kein Jugendamt, sondern nur Kontaktaufnahme (zu Eltern und auch zum Kind), was wahrscheinlich die moderne Journalistin von heute etwas überfordert.

  • Auch wenns den meisten Leuten nicht in den Kram passt: man darf anderen in ihre Erziehungsmethoden reinquatschen. Ist nicht verboten. Klar, die Leute regen sich dann auf und brösmeln irgendwas von wegen "Mein Kind, meine Erziehung", aber möglicherweise bleibt etwas hängen. Wenn ich solche Szenen beobachte, in der Strassenbahn oder im Freibad, kann ich schon mal laut werden.

    • 4G
      4613 (Profil gelöscht)
      @Fanta:

      Auch wenns den meisten Pseudo-Pädagogen nicht in den Kram passt... für die viele im Artikel genannten Beispiele, gibt es gute Gründe so zu Handeln (kein Übertriebenes eingehen auf Heulen, wenn das Kind sich nicht wirklich weg getan hat, aber Aufmerksamtkeit einfordert, kein Zuckerwasser ("Saft") ohne dass man was andre isst um den Hunger zu stillen).

       

      Das Drohen wenn sie nicht ins Bett will ist definitiv falsch und man sollte das nicht tun. Aber wenn man gestresst ist, wird den Besten Eltern sowas mal rausrutschen.

       

      Was natürlich beweist, dass den hier beschriebenen Eltern mal die Leviten gelesen werden sollten oder sie mal einen Kurs machen sollten, ist das Auslachen.

       

      Das geht natürlich garnicht, und sowas mitzubekommen, das tut schon echt weh und löst Mitleid für das Kind aus. Von den eigenen Eltern ausgelacht zu werden - im Alter von 3, nein, so darf ein Kind definitv nicht aufwachsen, aus so einer Familie sollte es gerettet werden.

       

      Das ist dann eine Situation, wo man definitiv reinreden darf und muss!

      • @4613 (Profil gelöscht):

        Das mit dem Auslachen ist zwar hart, aber insofern möglich, wenn das Kind merkt, dass es ja "geschauspielt" ist. Sie lachen sie ja nicht in Wirklichkeit aus. Das kann eine 3jährige schon merken. Und es geht ja gerade um den Konflikt in der Trotzphase u.a. Bin ich noch ein Baby oder erfahre ich meine Umwelt als etwas, was sich nicht immer meinem Willen und meinen Bedürfnissen unterordnet.

        Kann man machen, wenn die Eltern ihre Tochter so gut kennen, dass sie wissen, dass sie das abschätzen kann.

         

        Mit dem Ins-Bett-gehen ist so, dass es hier wichtig ist, dass man etwas konsequent macht. Das ist in der Trotzphase nicht gut, wenn man zu schnell nachgibt und gar nicht gut, wenn man keine klare Regelungen dafür hat. "Heute darfste mal lang aufbleiben, aber morgen wieder nicht!" ist für eine 3jährige noch ein bisschen zu kompliziert ohne klar fassbare Begründungen.

      • @4613 (Profil gelöscht):

        Natürlich, die meisten Eltern machen das meiste richtig, und für viele Dinge gibt es nachvollziehbare Gründe.

        Trotzdem, die eigene Familie ist der grösste Gefahrenherd für kleine Kinder, die Familie ist "isoliert", die Kinder haben in dem Alter meist nur die Eltern als Bezugspersonen. Bis das Kind dann im Kindergarten oder in der Schule ist, quatscht in der Regel niemand rein, und das ist nicht immer gut.

        Man muss nicht gleich zum Jugendamt rennen, aber man kann reinreden.