Kolumne Zeitschleife: Spiderman und die Brandstifter
Tada! Die erste tazzwei-Kolumne im neuen Jahr. Aber zu welchem Preis!
Stellen Sie sich bitte für einen Moment vor, Sie sind Kolumnist bei der tageszeitung. Nein, ich weiß, schwierig, aber versuchen Sies doch mal kurz. Hallo? Herrgott, jetzt stellen Sie sich doch nicht so an, nur mal KURZ!
Sie haben also eine Kolumne in der taz, Abgabedatum traditionell gegen Mitte des Monats. Und am Freitag vor Weihnachten, nur Stunden vor Ihrem Einkehrschwung in den aber so was von wohlverdienten Jahresend/übergangsurlaub, den Sie sich jede Saison gönnen, Stunden vorher also kommt per E-Mail der neue Kolumnenplan mit den Abgabeterminen für die Autoren, und Sie schauen rein und sehen Ihren Namen unter: 1. Januar.
Sie schließen flugs die in Frage kommenden abweichenden Szenarien aus (Sie träumen nicht, Sie sind nicht durchgedreht, dies ist keine Fake-Spammail) und antworten dem Redakteur dahingehend, er habe wohl Pilze gegessen und 1. Januar sei indiskutabel, weil Sie an dem Tag schon etwas kolossal Wichtiges zu tun hätten, nämlich in feierfreudiger Berghüttenrunde eine über Tage behutsam erarbeitete und am vorangegangenen Silvesterabend zum Höhepunkt gesteigerte Intoxikation mittels ausgedehnten Frühstücks spielerisch zunichtezumachen, um sodann aufs Neue er wisse schon. Seit Jahren nun schon verbringen Sie die Tage um Neujahr in schneeversunkener Abgeschiedenheit, in kostbarer Zivilisationsferne mit Freunden bei Speis, Trank, Rauch, Holzofen und gelegentlicher Schneeballschlacht - an diesem heiligen Arrangement wird man doch nicht rühren wollen ?
Zeitsprung (Sie können sich jetzt locker machen mit dem Vorstellen, ich mach jetzt in der Ich-Form weiter). Neujahrstag 2008. Nebenan im Wohnzimmer schauen meine Eltern das Neujahrskonzert, gleich geht Skispringen los, im Flur bimmelt das Telefon, gottlob nicht für mich. Ich sitze fröstelnd am Laptop und kaue an meinen Nägeln. Was ist passiert? Die Kolumne. Die Kolumne hat sich ihren Weg gebahnt, sich hineingefressen in mein glückseliges Winterferienwölkchen, wie ein böser Fluch, und alles, was ihren Zielen im Weg stand, mit Unheil überzogen. Ja, ich hatte mich breitschlagen lassen, dann eben doch die Jahresanfangskolumne - ist ja auch eine kleine Ehre - zu übernehmen. Wäre die Unmöglichkeit, an Neujahr Texte zu schreiben, denn nicht ein ideales Kolumnenthema?, schlug mir jemand vor, und so hatte ich mir vorgenommen, an einem der Tage nach dem Weihnachtsfest einen dahingehenden unverbindlich launigen Text quasi vorab, "auf Halde", abzufassen.
Aber das war der Kolumne nicht genug - ich hätte es ahnen müssen. Das ureigene Recht der Kolumne ist es nun einmal, auf den letzten Drücker geschrieben zu werden. Und wie mir jetzt klar wird, war sie zu keiner Sekunde gewillt, darauf zu verzichten. Bevor ich nun auch nur eine Zeile zu Datei bringen konnte, warf mich mit einer Plötzlichkeit und Wucht, die ich nur mit dem Wirken dunkler Mächte erklären kann, eine Grippe aufs Lager und hielt mich tagelang im Griff. Ich wand mich noch im eigenen Saft, als die Berghüttenrunde längst ohne mich in schneeverzauberte Höhen entstiegen war. Fraß Stirnhöhlentherapeutikum und Tabletten, goss Tee, Hustenlöser und Ohrentropfen in mich hinein, während da oben die ersten Braten schmorten und Flaschen ploppten. Erste zaghafte Lebensgeister kehrten erst zum Silvesterabend selbst zurück. Nach dreimal "Dinner for One" - einmal koloriert (!!?), einmal normal, einmal als Hörfilm - floh ich vor der Kanzlerinnenrede in eine Runde in der Nähe feiernder netter Menschen. Trank Apfelschorle und ein Dreiviertel bizarr schmeckendes Bier. Atmete beim (Passiv-)Geböller auf dem Kirchberg eine Schadstoffmenge ein, gegen die ein gepflegtes Jahr Passivrauchen in Gaststätten Kinderkram sein sollte. Und fuhr dann zeitig heim, um am nächsten Tag, nun, fit zum Kolumnieren zu sein. Was bleibt? Ein versemmelter Jahresauftakt und die eine Genugtuung: Der Redakteur muss meine bescheuerte und bezuglose Überschrift übernehmen, sonst lasse ich den Fluch der Kolumne auf ihn übergehen. (P. S.: Gutes Neues!)
ZEITSCHLEIFE
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Morgen: Jan Feddersens PARALLELGESELLSCHAFT
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