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Kolumne ZeitschleifeDas Chaos tobt, der Boden schwankt

Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse - ernsthaft. Rosenmontag gebe ich die Fetenhupe Gottlieb Wendehals.

Sehen Sie, jetzt ist es also doch passiert: Mir ist eine Führungsposition angeboten worden! Genau genommen eine Hauptrolle, in der es mir obliegt, ein umfangreiches Ensemble und gleichzeitig die Gunst eines, nun, breiten Publikums zu jonglieren. Bei den Verhandlungen über den konzeptionellen Überbau unserer diesjährigen Rosenmontagskneipentour hat sich der Flügel der postironischen Revivalisten durchgesetzt mit dem Antrag auf Durchführung einer "Polonäse Blankenese". Andere Vorschläge u.a.: Ein singender GSG9-Stoßtrupp. Eisbär Knut - also: alle zusammen, 20 Mann/Frau als EIN Eisbär Knut; hätte ich mir in der Umsetzung interessant vorgestellt, wurde aber als "Schmarrn!" abgelehnt. Und wie jedes Jahr für zwei Sekunden im Gespräch: Ein Kasten Bier; weiterhin scheitert diese grandiose Vision einer swingenden Compagnie von 20 Schnappverschluss-Flaschen an der technischen Realisierung des Kastens.

Bild: privat

Josef Winkler (35) lebt und arbeitet, was sein Nervenkostüm und Zeitbudget nicht unerheblich in Anspruch nimmt, in München und Palling. Hobbies: Zeichnen, Tiere, Musik, Nichtschwimmen

Die Idee ist die eines classic Faschings-Approaches: lustige Hüte aufgesetzt, Kurze getrunken, so weit, so entspannt. Eine markante Rolle in dieser Produktion freilich galt es zu besetzen - die des Gottlieb Wendehals. Ich stehe vor der darstellerischen Herausforderung meines Lebens. Früh entschied ich mich für den Method-Actor-Ansatz, als mir klar wurde, dass ich zum Kern dieser Entertainer-Persönlichkeit würde vordringen, dass ich diese Gaudiwurscht von innen nach außen würde stülpen müssen, um die glaubwürdige Performance abliefern zu können, die meine Leute - und in der Tat mehrere Handvoll schwer angetrunkener Trostberger Kneipengänger - erwarten.

Ich habe Bücher gewälzt über Leben und Werk dieses granatenmäßigen Vollknallers, alte TV-Mitschnitte, Interviews mit der notorisch pressescheuen Stimmungskanone. Habe wie besessen die Details seines Acts studiert - den friesischen Akzent, das Gummihuhn in der Aktentasche ... - und natürlich immer wieder den Text des Liedes "Polonäse Blankenese", mit seinen surrealen Bildwelten - die berühmten "Löcher", die "aus dem Käse" "fliegen" -, der sublimierten Erotik in Zeilen wie "Erwin fasst der Heidi von hinten an die Schulter", der beklemmenden Ahnung von Wahnsinn - "der Pianist reißt alle Tasten raus" - und der sich schließlich Bahn brechenden Gewalt: "die Bänke fliegen tief, die Tische auch ...".

Und spüre, ich komme langsam hinein in den Kopf dieser enigmatischen Rambazamba-Nudel, bekomme ein Gefühl, wie ich die Rolle anlege, um das Charisma dieser Fetenhupe par exellence zu transportieren. Nur an einem Detail knabbere ich noch: Wendehals war in seiner Hochzeit - und in dieses l'age d'or der Guten Laune wollen wir unser Schlaglicht werfen - Schnurrbartträger, ich trage Vollbart. Wolf, perfektionistischer Hardliner der Revivalisten und ein Faschingskrapfen von großen Verdiensten (unvergessen sein Auftritt als glatzköpfiger Deoroller), drängt mich nun zur Rasur. Er sagt, Tomen habe diese Hürde auch nicht gescheut, als er sich vor Jahren für einen Part als Polizist einen sog. "Pornobalken" stehen ließ. Ich wiegle ab, Inkongruenzen in der Gesichtsbehaarung würden durch Einfühlsamkeit in der Darstellung wettgemacht - mal sehen, ob ich durchkomme.

Der nächste Schritt wäre, den echten Gottlieb Wendehals zu kontaktieren, der heute zurückgezogen in einem alten Bauernhaus irgendwo im Land Wursten leben soll. Ihn für das Projekt zu begeistern. Aus erster Hand erfahren, wie es sich anfühlte, damals, on top, als er mit 250.000 Leuten um die Binnenalster tanzte, im Mai 1982. Gut, und da wäre auch noch Werner Böhm, den man fragen könnte, ein verkrachter Musiker aus Hamburg, der sich zuletzt wiederholt als Gottlieb Wendehals ausgegeben hat, wenn er nicht gerade im "Dschungelcamp" durch Kakerlaken kroch oder bei "Big Brother" einen über den Durst trank. Im Februar kandidiert Böhm bei den Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft für die Deutsche Zentrumspartei, einen rechtspopulistischen Haufen, in dem die klebrigen Überreste der Schillpartei aufgegangen sind. Was würde der echte Wendehals von solchen Typ halten?

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