Kolumne Zeitschleife: Passt auch schön in die Jahreszeit
In Ermangelung eines erquickenden Sommerlochs bieten wir an: Fünf Minuten Schmalspur-Eskapismus.
K ennen Sie das Sport-Block-Paradoxon? Wenn, dann wohl unter einem anderen Namen. Ich habe es für mich "Sport-Block-Paradoxon" genannt, nach den Umständen, in denen ich mir dieses Phänomens - mithin der Tatsache, dass ich es lange schon am eigenen Leib erfahre, aber nie benannt hatte - bewusst wurde. Ich hörte den Nachrichtensender MDR Info, und da sagte die Moderatorin: "Näheres dazu dann in unserem Sport-Block. Den können Sie wie immer in ca. zehn Minuten hören."
Lesen Sie den Satz noch einmal und kosten Sie die Weite, die sich in dieser Formulierung auftut. Der Sport-Block - wie immer in ca. zehn Minuten. Dieses süße Verheißung, die ihre Unerfüllbarkeit schon in sich trägt, sich stets nur wieder selbst aufs Neue verspricht, in einer unendlichen Schleife holder Erwartung, Hoffnung und bittersüßer Vergeblichkeit. Wie immer in ca. zehn Minuten. Und die Menschen in der Redaktion, die diesen Sport-Block erstellt! Was passiert an dem Tag, da sie erkennen, dass es sich erübrigt, auf die Fertigstellung des Sport-Blocks hinzuarbeiten, weil der eh immer erst in ca. zehn Minuten gesendet wird? Und wäre nicht jener ein Stück freier, der aufhörte, auf den Sport-Block zu warten, sich nicht etwa gar verleiten ließe, die ca. 10 Minuten bis zum Sport-Block totzuschlagen, ja: der ihn ganz vergäße? Mir jedenfalls war der Sport-Block Wurscht, und das war ein sehr okayes Gefühl.
Apropos Zeitparadox: Hier verwirrte mich zuletzt eine Durchsage im Zug. Ich mag mich irren, aber es haut doch hinten und vorne nicht hin, wenn jemand um 22.16 Uhr sagt: "Augsburg erreichen wir derzeit um 22.42 Uhr." Oder? Was? Also, mir wird da das Hirn matschy. Jetzt sind wir so ins Quatschen reingekommen. Ist eh Sommerloch.
Aber klar. Sieht ungefähr so aus: Ein Freund von mir ist Redakteur bei unserer Lokalzeitung. Nun gab es im Nachbarort einen Doppelmord und ein paar Ecken weiter im Landkreis sprengte sich ein Rentnerpaar samt Haus in die Luft, und mein Freund sagt, er würde jetzt gern mal ein paar Berichte über Riesentomaten und KLJB-Jugendfreizeiten schreiben. In Tribute an das Sommerloch, dearly missed, möchte ich Ihnen also anbieten, sich für die restlichen Absätze vorzustellen, dies seien die wichtigsten Meldungen des Monats.
"BERLIN the best city", steht auf einem schmucklosen Aufkleber quer über die Heckscheibe eines alten Opel Corsa mit Rosenheimer Kennzeichen auf dem Bahnhofsparkplatz von Bad Endorf. Auf der Popwelle läuft Katy Perrys Lied "I Kissed A Girl". Dann sagt die Moderatorin: "Katy Perry, ,I Kissed A Girl', und Petra aus Augsburg findet, das ist ein tolles Lied, das auch super in die Jahreszeit passt." Dann kommt das nächste Lied.
"Austragsbankerl für Wolfgang - von Sybille, Regina und Yvonne" steht auf einem Messingschild an einer Parkbank im Englischen Garten. "Wie?", fragt eine Passantin. "Haben sie den zu Hause rausgeschmissen?" Auf einem Balkönchen an der Dachauer Straße steht ein Mann in rotem T-Shirt über dem Feierabendverkehr und schwenkt ein SPD-Fähnchen. Im sommertumben Sendling quert eine ältere Dame die Straße, um zu sehen, was da für ein Zettel im Fenster der Eisdiele hängt. Zwei Wochen Urlaub, im August. "Und dann wundern sie sich, wenn s alle pleitegehn." Draußen vorm Griechen, zwei Tische weiter, jault ein Hund und sein Frauchen plärrt in ihr Handy, dass es die ganze Metzstraße hört, und jetzt gibt sie "weiter an Jörg". Aber der telefoniert ganz leise, und der Hund ist erleichtert und hält jetzt auch die Fresse.
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